Wo steht mein Unternehmen innerhalb des deutschen und europäischen Marktes? Und lässt sich diese Position strategisch optimal weiterentwickeln oder verändern? Das sind Fragen, die Linda Beath in ihrem "Strategic Planning Workshop" aufwirft. Die international renommierte Finanzierungsexpertin arbeitet bei Produktionen von Spielfilmen, langen Dokumentarfilmen sowie für hochwertige Dramen im Primetime-TV als ausführende Producerin, zudem berät sie Produktionsfirmen und Regierungsorganisationen, die in der Film-, Fernseh- und digitalen Medienbranche tätig sind. Für die von Creative Europe MEDIA geförderten Trainings-Initiativen EAVE sowie das Euromed Audiovisual III-Programm ist Linda Beath als Dozentin für Finanzen, Koproduktion und neue Geschäftsmodelle tätig. Mit ihrem Workshop für strategische Firmenplanung war sie in den letzten Monaten in Kooperation mit den ansässigen Creative Europe Desks in Deutschland in Hamburg, Köln und Berlin zu Gast. Anlässlich des Workshops in der Villa KULT in Berlin hat sich Nikola Mirza mit Linda Beath über (natürlich) gute Strategien für Firmen unterhalten.
2013 betrug der Marktanteil von Hollywood-Produktionen in Europa 70 Prozent? Haben die Amerikaner eine bessere Strategie?
Nein, das nicht, sie haben ein besseres Marketing.
Ist das der Hauptgrund?
Ja, ich finde schon.
Dann fehlt es also nicht an guten Strategien, aber vielleicht an Geld?
Da bin ich nicht sicher, aber aktuell werden wir von einem ganz anderen Thema beherrscht: Gegenwärtig werden die Budgets von Projekten in allen Positionen gedrückt. Es gibt nicht genug Development-Gelder, um die auch noch mehr und mehr Projekte kämpfen. Die Sender zahlen weniger pro Stunde, wollen mehr und längere Rechte, und das plattformübergreifend, z.B. für die VoD-Auswertung. Gleichzeitig können Verleiher und Weltvertriebe keine großen Vorschüsse mehr zahlen. Es ist also sehr schwer geworden, Projekte zu finanzieren. Die Projekte werden deshalb zum Teil von den Kreativen selber subventioniert und daran könnte das ganze scheitern. Die Autoren und Regisseure müssen besser bezahlt werden als bisher. Mein vorherrschendes Thema lautet aktuell: Geld für Talent!
Wie definieren Sie denn Strategie in ihrem Workshop?
"Strategic Planning" ist Management, und das definiert eine aktive Strategie als komplexe Menge von Aktionen, die viel Zeit brauchen, nicht Tage und Wochen, sondern Monate und Jahre.
Töte zuviel Strategie im Sinne von Absicherung nicht die Kreativität? Wir haben in Deutschland viele kleine Firmen, die einfach loslegen, weil sie gute Ideen haben. Womit würden Sie anfangen: Mit einer guten Idee oder einer Strategie?
Das kann man sich nicht einfach aussuchen. Wer in dieser Branche arbeitet, möchte sich beruflich weiterentwickelt, was meistens von Projekt zu Projekt passiert. Die Firma aber ist der Klebstoff, der das am Laufen hält. Wenn man die Firma als eine Plattform begreift, die als funktionsfähige Einheit arbeiten muss, eine Einheit, die Vermögen aufbauen soll sowie eine große Palette an Projekten, gibt es keine Konflikte zwischen Strategie und Kreativität. Wir leben in einer Zeit, in der auch für hochanspruchsvolle Filmkunst wirtschaftliche Prinzipien gelten. Kreativität und Strategien können und müssen sich gegenseitig unterstützen. Gute Produzenten wählen ihre Projekte, weil sie begeistert von ihnen sind. Und normalerweise werden genau die Projekte, die aus Leidenschaft entstehen, auch realisiert. Das sollte jedoch nicht ausschließen, dass man sich fragt: Ist dieses Projekt auch gut für meine Firma?
Welche zentralen Veränderungen und Anforderungen sehen Sie für Produktionsfirmen in den nächsten Jahren?
Es gibt für mich zwei Schlüsselzahlen: 2018 werden die VoD-Einnahmen die Kinoeinnahmen übertreffen. Das Gute an VoD-Einnahmen ist, dass die Mehrheit dieser Einnahmen an die "Erschaffer" zurückfließt. Die zweite Zahl: 2020 werden 100 Prozent der Zuschauer online sein. Und wenn es gegenwärtig eine Schwäche im europäischen System gibt, dann ist es die, dass die Förderer, die Verfechter des Films und die Leitenden in Brüssel sich nicht genug mit dem Internet beschäftigen. YouTube interessiert es so wenig wie das Publikum, ob ein Film eine Minute dauert oder 40 oder 90 oder zweieinhalb Stunden. Wir werden sehen, wie die Grenzen zwischen den Formaten immer mehr verwischen, wir werden einen 90-Minüter in 60 Minuten machen. Die Formate werden sich verändern. Für die Kreativen hat es den Vorteil, dass sie befreiter arbeiten können. Dennoch verweigern sich viele immer noch den Auswirkungen des Internets. In einem Artikel von "The Economist" aus dem Jahr 2013 sagte einer der wichtigsten amerikanischen Wirtschaftsforscher, dass die Menschen in Zukunft so viele Filme sehen werden wie bisher, aber sie werden dafür 6 Mrd. Dollar weniger ausgeben. Das ist gravierend.
Was lernen Produzenten in ihrem Workshop?
Es gibt einige Tools, die ich eingebaut habe, die von den Teilnehmern in jeder Lage genutzt werden können. Aber vor allem stelle ich ihnen Fragen, gebe ihnen Übungen und fordere sie auf, Dinge auf eine bestimmte Art und Weise zu tun. Wenn sie all das umsetzen, lernen sie eine Menge über ihre Firma. Ein Hauptnutzen des Workshops ist es, dass sich die Teilnehmer selbst etwas über ihre Firma beibringen. Praktisch heißt das, sie werden am ersten Tag sehr mürrisch und am zweiten sehr euphorisch. So etwa läuft das ab. (lacht)
Sie veranstalten die "Strategic Planning Workshops" in ganz Europa. Gibt es nationale Unterschiede?
Generell - mit Blick auf die Firmenstrategien - nicht, aber es gibt regionale Feinheiten. In Skandinavien sind sich die Firmen und Handlungsweisen sehr ähnlich. In den südlichen Ländern wird ganz anders gearbeitet. Auch im angelsächsischen Europa werden Probleme anders gelöst. Und es gibt kulturelle Unterschiede durch verschiedene Marktsituationen, Förderregularien etc.
Und wenn sie jetzt auf Deutschland und die Firmen aus Hamburg, Köln oder Berlin schauen?
Das war sehr interessant. Ich habe fast das Gefühl noch mehr gelernt zu haben als die Teilnehmer. Hier gibt es eine große Bandbreite. Heute beim Mittagessen haben sich die Firmen vorgestellt und gesagt, wo sie in einem Jahr stehen wollen. Und ich habe gemerkt, dass unter diesen Firmen natürliche Synergien bereits vorhanden waren. Die Reaktionen waren auf jeden Fall unglaublich.
Apropos gute Strategien: Wo liegen die Stärken und Schwächen europäischer audiovisueller Firmen?
Ich beantworte das mal in zwei Teilen: Netflix wird am Ende des Jahres in 200 Ländern vertreten sein. Konnten sie unterschiedliche Sprachen, gegensätzliche Copyright-Welten oder ein unterschiedliches Publikum davon abhalten? Keineswegs! Warum sind sie uns so weit voraus, eine amerikanische Firma in Europa? Das ist, nach 21 Jahren, in denen MEDIA vom gemeinsamen europäischen Markt spricht, eine entscheidende Frage. Der zweite Teil lautet: Die europäische Filmwirtschaft hat - wie auch die "American Independents" - gegenwärtig kein gutes Geschäftsmodell. Unsere Filme kosten zu viel, es werden zu viele Filme gemacht, das Publikum ist nicht groß genug, unsere Einnahmen decken unsere Ausgaben nicht ab. Andererseits fahren wir fort, Kultur zu erschaffen, und das in einer Art und Weise, wie es die Amerikaner eben nicht können. Es gibt also zwei sehr verschiedene Bewertungen der Situation, die man sich klar machen muss. Wirtschaftlich gesehen sollten wir dennoch das Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben korrigieren.
Ist es am Ende nicht so, dass Netflix auch guten Content aus Europa brauchen wird?
Wir sollten realistisch sein. Netflix kann uns Dinge beibringen. Eines davon ist, dass ein qualitativ hochwertiges, gut gemachtes lokales Programm ein Marketing-Werkzeug ist, das auch unsere TV-Sender und Verleiher brauchen. Netflix ist heute noch das zweite Verwertungsfenster, aber am Ende wird es das erste sein. Daraus resultiert auch meine Sorge über die Bezahlung von Autoren und Regisseuren. Im Moment kauft Netflix Rechte pauschal ein, sie bezahlen zwischen 500 und 10.000 Euro für einen Film. Wir wissen aber nicht, wie viele Leute den Film sehen, sie veröffentlichen nie die Anzahl der Klicks. So gibt es keine Messdaten über die Popularität und Nutzerzahlen eines Programms.
Viele junge Firmen konzentrieren sich auf die Produktion von Kino- oder Fernsehfilmen. Ist dieses Modell passé und gefährlich, wenn man es mit z.B. sinkenden Budgets, Drehtagen, Gagen und Fördergelder zu tun hat?
Ich blicke schon mit ein wenig Sorge auf den Nachwuchs. Nach der Internationalen Filmkonferenz im November 2014 saß ich mit neun Hochschulabsolventen am Tisch, und am Nebentisch saßen sechs weitere Absolventen. Sie alle waren entweder "Autor und Regisseur", "Cutter und Autor", "Autor, Regisseur und Produzent". Das ist nicht der richtige Weg, die zukünftige Filmindustrie auszubilden. Wir brauchen Spezialisierung, besonders bei Produzenten, denn der Kampf ums Geld wird nicht einfacher, sondern immer härter. Und auch der Kampf um das Publikum wird härter, nicht leichter. Wenn ein Regisseur seinen Film im Internet vermarkten möchte, haben wir ein Problem, denn es ist noch unbekanntes Terrain.
Lernen Filmstudenten an der Hochschule strategisch zu planen?
Nein, sie lernen zwar, wie man budgetiert, aber nicht, wie man finanziert.
In welchen Gebieten sind die Teilnehmer der bisherigen "Strategic Planning Workshops" aktiv?
Hier in Berlin kommen Sie aus den Bereichen Kino und Fernsehproduktion sowie Games und Software, in Hamburg und Köln sind es Kino, Fernsehen, Animation und Dokumentarfilm.
Immer mehr mittelständische Firmen sind inzwischen breiter aufgestellt, sie machen Bücher, entwickeln Apps und Spiele und sind zusätzlich im Bereich TV und Kino aktiv. Ist das die richtige Strategie?
Natürlich! Es ist anders als vor zehn Jahren, da wurde im Fernsehen noch besser bezahlt. Heute müssen die Firmen diversifizieren. Wenn sie einen Animations-Kinofilm machen und daraus eine TV-Serie und ein Internet-Game, ist das ein dynamischer Weg.
War das auch Thema bei Ihrem Workshop?
Ja, allerdings nur bei zwei Firmen. Ich selber pushe nichts, sondern moderiere nur. Ich treffe nie Entscheidungen für die Firmen, ich gebe keine Ratschläge, ich stelle nur Fragen.
Was kann Europa, können Programme wie Creative Europe tun, um "Strategic Planning" von Firmen zu unterstützen?
Creative Europe könnte die Förderung und Erforschung neuer Geschäftsmodelle verbessern. Wie können wir noch effektiver arbeiten? Wie kann das Verhältnis der Kosten für Produktion und "Audience" noch verbessert werden? Das sind zentrale Fragen. Außerdem müssen wir das Internet annehmen und als Chance verstehen. Das heißt: Es geht nicht so sehr um "audience development", sondern darum, das Marketing im Internet zu verstehen. Marketing im Internet ist fundamental geworden. Ich lebe in Italien und war ein paar Mal in Polen und kenne dort einige interessante Filmemacher, aber ich kann in Italien keinen polnischen Film finden, den ich mir ansehen könnte. Warum nicht? Wir müssen diese Filme vermarkten und zugänglich machen. Die aktuellen Auswertungsexperimente müssen eingeordnet werden. Wenn es Date-to-Date-Starts parallel zu Filmfestivals gibt, brauchen wir Zahlen und Transparenz, oder wenn es VoD-Starts gleichzeitig zu einer Festivaleröffnung gibt: Ist das gut oder nicht? Wer misst, wer bewertet das? In Europa ist es gerade leider so, als ob niemand zuhause sei. Hier muss Brüssel eine Führungsrolle übernehmen, und ich hoffe, dass die DG Connect richtige Wege aufzeigt.
Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, dass zu viele Fördergelder in die Produktion und zu wenig in den Verleih und Vertrieb fließen. Sollten wir mehr Geld für weniger Projekte aufwenden, die am Ende aber vielleicht zu Premium-Produkten werden?
Ich vermute auch, dass wir zu viele Filme produzieren. Beunruhigend ist jedoch eine andere Entwicklung: Die Ausgaben für die Projektentwicklung sinken. Sogar Förderungen, die crossmediale Projekte unterstützen, erlauben es zum Beispiel nicht, dass man sich einen Domain-Namen sichert und das als Development-Ausgabe geltend macht. Das finde ich unglaublich. Tatsächlich müsste das Marketing im Internet schon in der Development-Phase beginnen. Wenn man sich den Domain-Namen nicht sichert, kauft ihn jemand anderes und verkauft ihn für viel Geld. Ich weiß also nicht, ob es so gut ist, mehr Geld in die Distribution zu verschieben. Bis zum Jahr 2018 müssen wir den Wert des VoD-Vertriebs messen. Ist es zum Beispiel vielleicht besser, einen polnischen Film in den drei größten Städten Italiens zu zeigen, diesen ausgiebig zu bewerben und keine Einnahmen zu erwarten, ihn aber eine Woche später als VoD zu starten? Wollen dann mehr Menschen diesen Film sehen oder kaufen? Hier finden Experimente auf einer breiteren Basis mit größeren Filmen gar nicht statt.
Wenn Sie noch einmal 25 wären und heute ihre erste Firma gründen könnten, wie sähe ihre persönliche Strategie aus?
Ich würde viel mutiger mit anerkannten Autoren und Regisseuren arbeiten und versuchen, sehr lange Arbeitsbeziehungen mit ihnen aufzubauen, um drei, vier, fünf Filme mit ihnen zu machen.
Würden Sie wieder in den Bereichen Kino und Fernsehen arbeiten?
Ich empfinde das Internet als Herausforderung und glaube, wir können wunderschöne und wirtschaftlich rentable Filme machen, die im Internet vermarket und von vielen Menschen gesehen werden. Auf der anderen Seite sitze ich im Kino, der Vorhang geht auf und ich freue mich riesig. (lacht)
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"Es war uns eine sehr anstrengende Freude, mit Linda Beath an unserer Strategie zu arbeiten. Ohne diesen Plan geht es gar nicht! (...) Wir fühlen uns ernst und wichtig genommen. Gerade in einer so frühen Phase des Unternehmens macht das Mut."
Marijke Engel, Good Stories, Berlin
"Die zwei Tage mit Linda Beath haben uns massiv nach vorne gebracht. Der Schlachtplan steht!"
Christoph Bauer, Produzent und Geschäftsführer Propellerfilm Berlin
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Der Workshop "Strategic Planning" wurde in Berlin/Brandenburg veranstaltet vom Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg, media.net berlinbrandenburg e.V. mit Unterstützung vom Medienboard Berlin-Brandenburg.
Bitte informieren Sie sich über die kommenden "Strategic Planning" Workshops mit Linda Beath bei dem Creative Europe Desk MEDIA in Ihrer Region.
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