Kino für die Kleinen: MEDIAs „Film Education“-Förderung unterstützt die Zusammenarbeit von Initiativen, die sich für Filmvermittlung einsetzen. Damit soll vor allem bei Kindern und Jugendlichen das Interesse für europäische Filme geweckt und gleichzeitig das Wissen darüber erweitert werden. Unter den geförderten Projekten sind häufig Filmreihen und praktische Angebote. Mit "Film Education - A user’s guide" bieten nun Organisationen aus insgesamt acht europäischen Ländern auch ein theoretisches Angebot für Lehrende, Filmvermittlungsexpert:innen und alle Interessierte. Die als Online Kurs konzipierte Website beinhaltet Material und Beispiele aus fünf europäischen Ländern und ist nur ein Teil des MEDIA geförderten Projektes "Film Education: from framework to impact". Teilnehmende Institutionen sind das BFI in Großbritannien, das Danish Film Institute, die Cinematèque Francaise und Vision Kino. Creative Europe Desk Hamburg hat mit Sabine Genz von Vision Kino über die Initiative gesprochen.
CED Hamburg: Wie ist die Idee zum dem Online Guide entstanden und was verbirgt sich dahinter?
Sabine Genz: Die Idee eines Online Kurses für Filmbildungsinteressierte entstand aus einer ganzen Reihe von Projekten, die von der Europäischen Kommission bzw. Creative Europe gefördert wurden. Das erste Mal haben wir uns 2011 mit europäischen Partnern für die Studie „Screening Literacy“ zusammengetan. Sie wurde 2013 veröffentlicht und ist eine Bestandaufnahme von Institutionen und Maßnahmen zur Förderung der Filmbildung in den Mitgliedsstaaten der EU: Wo und in welchen Kontexten findet Filmbildung statt? Welche Ziele verfolgt sie? Gibt es nationale Filmbildungsstrategien und ist Film in den Lehrplänen verankert? Diese Studie wurde von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben und von einem Konsortium europäischer Filmbildungsträger, u. a. VISION KINO, unter Federführung des British Film Institute (BFI) durchgeführt.
Ausgehend von „Screening Literacy“ wurde im Juni 2015 ein Modell für Filmbildung in Europa veröffentlicht und im Rahmen des Creative Europe Programms für Publikumsentwicklung der Europäischen Kommission finanziell gefördert. Dem Modell bzw. dem „Framework for Film Education in Europe“ liegt das Ziel zu Grunde, allen jungen Menschen Zugang zu Film und Teilhabe an Filmkultur zu eröffnen. Dazu gehören das Erleben und Erfahren von Film genauso wie ästhetische Lernprozesse und kreative Praxis. Filmbildung soll die Lernenden befähigen, sich lebenslang mit Kino auseinanderzusetzen, kritisches Verständnis, Neugier und Begeisterung für Filme zu entwickeln und selbst filmpraktisch zu arbeiten.
Unser Framework betrachtet Film als Kunst- und Kulturform mit eigener Geschichte, Sprache und Ästhetik. Es soll dafür sorgen, dass die herausragende Bedeutung von Film sich in den Lehrplänen der europäischen Staaten, in der Unterrichtspraxis und in außerschulischen Bildungskontexten wiederspiegelt. Und allen als Orientierung dienen, die mit und über Film lehren und lernen wollen. Unter Federführung des Britischen Film Instituts (BFI), The Film Space (England) und VISION KINO waren an diesem Projekt mehr als 25 Partner beteiligt.
Das Framework ist hier zu finden.
Das Projekt „From Framework to Impact“ schließlich holte das Modell „Framework for Film Education“ in die Praxis. Durch grenzüberschreitenden Austausch von Erfahrungen und Wissensvermittlung sollten neue Impulse und Ideen entstehen - Ziel war ein praxisorientierter und fundierter Ansatz für die Filmbildung, der in ganz Europa und darüber hinaus genutzt werden kann.
Dazu fanden Seminare in Estland, Ungarn, Griechenland und in Slowenien statt, die sich an Entscheidungsträger:innen im Bildungs- und Kultursektor, an Multiplikator:innen von Filmfestivals, Kinematheken, Bibliotheken und Filminstituten und an Lehrkräfte richteten.
Thematisch orientieren sich die Seminare an dem Massive Open Online Course (MOOC), "Film Education: A User's Guide", der ein zentraler Bestandteil des Projektes war. Der moderierte, kostenlose Online-Kurs, der für vier Wochen konzipiert ist, aber im eigenen Tempo auch schneller oder langsamer absolviert werden kann, bietet die vielgenutzte Chance, mit Teilnehmenden aus der ganzen Welt ins Gespräch zu kommen. Er behandelt folgende Themen:
- WAS verstehen wir unter den Begriffen „Film“ und „Filmbildung“?
- WARUM sollten wir Filme zum Unterrichtsthema machen?
- WAS sind die wichtigsten Ziele der Filmbildung und WIE werden sie erreicht?
- WIE verbinden wir die kritische und die kreative Arbeit, und WELCHE Methoden funktionieren?
- WO findet Filmbildung statt?
- WIE evaluieren und bewerten wir die Wirkung von Filmbildung?
Die vielen positiven Rückmeldungen auf den Kurs haben uns dazu inspiriert, ihn in eine Website zu überführen, auf die jederzeit zugegriffen werden kann. Anschließend haben wir die Seite auf Deutsch übersetzt, da wir so noch mehr Lehrkräfte und Multiplikator:innen der Filmbildung erreichen können (auch auf Estnisch und Litauisch ist die Seite verfügbar, Kroatisch und Spanisch sind in Vorbereitung). Der Kurs ist so strukturiert, dass die Lernenden ihn von Anfang bis Ende in vorgegebener Reihenfolge durcharbeiten. Die Website enthält zwar die Inhalte des MOOC, doch wir haben uns bemüht, Pädagog:innen verschiedene Möglichkeiten zur Nutzung der Materialien anzubieten, je nachdem, in welcher Situation und mit welcher Absicht sie erfolgt.
Der Kurs ist über Filmbildung: Ein Leitfaden individuell verfügbar, die Website wird 10 Jahre lang aktiv bleiben und somit die Langlebigkeit des gesamten Projekts gewährleisten.
Wie geht es weiter mit dem Projekt insgesamt?
Das Projekt „From Framework to Impact” ist abgeschlossen. Es entstand aber ein großes und wachsendes informelles Netzwerk von Akteur:innen der Filmbildung in Europa, das sich vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik und von der Nordsee bis zum südlichen Mittelmeer erstreckt.
Die im Rahmen des Programms durchgeführten Recherchen ergaben mehr als 160 europäische Organisationen, die derzeit in irgendeiner Form an Filmbildungsaktivitäten beteiligt sind: in Klassenzimmern, Kinos oder an anderen Orten. Die Bandbreite reicht von kleinen Nichtregierungsorganisationen, die nur eine Handvoll Teilnehmende betreuen, bis hin zu Filminstituten, die landesweite Programme anbieten. Über 70 dieser Organisationen haben an grenzüberschreitenden Projekten teilgenommen, die von Creative Europe finanziert wurden.
Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir die Kommunikation zwischen all diesen Akteuren der Filmbildung verbessern und verstetigen können? Wie können wir verhindern, das Rad mit jedem zweiten Projekt neu zu erfinden, weil wir gar nichts davon wissen, was gerade in Dänemark, Portugal oder Lettland passiert? Welches sind unsere Wünsche und Erwartungen an ein Netzwerk für Filmbildung in Europa, und welches sind die Wünsche und Erwartungen der anderen?
In einem ersten Schritt haben wir uns zwischen Oktober 2020 und Juni 2021 mehrmals online getroffen, um dies herausfinden und uns darüber klar zu werden, welches die brennendsten Fragestellungen und Herausforderungen für die Filmbildung in post-pandemischen Zeiten sind.
Der Bericht "Film Education after the Pandemic", der die Ergebnisse unserer Treffen zusammenfasst, zeigt eine Reihe von Schlüsselfragen und Herausforderungen auf, mit denen die Filmbildung in Europa konfrontiert ist. Diese erfordern ein gemeinsames Vorgehen auf gesamteuropäischer Ebene - unser Vorhaben für die nächsten Monate. Gerade eruieren wir die Möglichkeiten von EU-gestützter finanzieller Förderung dieses Projekts – bei Creative Europe oder anderen Töpfen.
Was konnten Sie aus dem Netzwerk mitnehmen, was passiert z.B. in Dänemark, was Sie für Deutschland gern adaptieren würden?
In fast jedem Land gibt es großartige Projekte und Ideen, die wir adaptieren könnten. Und besonders Dänemark ist in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild. Frühkindliche Filmbildung, also Filmbildung für Kinder im Kindergartenalter, spielt dort eine viel größere Rolle als bei uns. Es gibt dort außerdem eine sehr erfolgreiche, nationale Streaming- und Lernplattform, "Filmcentralen", betrieben vom Dänischen Filminstitut. Dort sind sowohl ein breites Spektrum an Filmen als auch die zugehörigen Bildungsmaterialien zu finden, ergänzt durch Artikel zu Themenschwerpunkten und ein interaktives Filmstudio. Alle Lehrkräfte und Schüler*innen Dänemarks haben darauf nach Anmeldung kostenlosen und unbegrenzten Zugriff auf alle Inhalte. Sie können sich auf der Plattform einen geschützten Bereich für die Klasse bzw. einen geschützten persönlichen Bereich einrichten. Dort können Arbeitsergebnisse – wenn z. B. intensiv mit einem Ausschnitt gearbeitet wurde (die Werkzeuge dafür finden sich selbstverständlich auch auf der Plattform) – gespeichert werden und innerhalb der Gruppe ausgetauscht werden.
Alle Dokumentar- und Kurzfilme, die in Dänemark Filmförderung erhalten, werden automatisch zu Filmcentralen hinzugefügt. Außerdem hat das Dänische Filminstitut Mittel, um für die Plattform Spielfilme und Filme aus dem Ausland anzukaufen. Natürlich ist Dänemark ein sehr viel kleineres Land, dessen Bildungssystem zentral organisiert ist. Da ist es sehr viel einfacher, eine solche Plattform für alle Schulen des Landes zu implementieren. Aber das ist eine wirklich großartige Sache, die ich gerne adaptieren würde.
Wie war Ihre Erfahrung mit dem Antragsprocedere, insbesondere als Konsortium?
Da das Projekt unter Federführung des Britischen Filminstituts lief, haben die Kollegen dort den wesentlichen Teil des Antragsprocederes sowie die Koordination zwischen den beteiligten Institutionen übernommen. Das hat uns wenig Arbeit gemacht und es war jederzeit klar und übersichtlich, was wir zu tun haben.
Creative Europe MEDIA fördert weiterhin Film Education Projekte. Was finden Sie, fehlt in der europäischen Landschaft bisher?
Wie schon oben umrissen, denke ich, dass wir Akteure der Filmbildung uns besser vernetzen und Formen finden sollten, mit denen wir uns verstetigt und regelmäßig austauschen. Ein Multi-Hub-Netzwerk, ein Netzwerk mit vielen Knotenpunkten.
Darüber hinaus fänden wir es wunderbar, wenn europäische Kinderfilme, die auf Festivals zwar Anerkennung, aber bspw. keinen deutschen Verleih gefunden haben, mehr durch Europa reisen könnten. Vielleicht gibt es kuratorische Wege (und Mittel!) diese in die Kinos bringen zu können.
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