Karsten Stöter, der Gründer der Produktionsfirma Rohfilm (u.a. „3 Tage in Quiberon“) erzählt im Interview von der Zukunft der Produktionslandschaft angesichts der aktuellen Krise, wie COVID-19 das Koproduktionsverhalten beeinflussen wird und was er sich vom MEDIA-Programm wünscht.
Mit welchen Herausforderungen sind Sie durch die Corona-Krise als Produzent konfrontiert?
Karsten Stöter: Zunächst einmal habe ich wie viele andere Berufstätige mit Familie das Zeitmanagement anpassen müssen, da home schooling und Kochen einen Teil des Tageswerks in Anspruch genommen haben, den sonst Schule und Hort für die Kinder erfüllen.
In der Firma hatten wir aber glücklicherweise keinen Drehabbruch, aber wie viele andere Kollegen auch Drehverschiebungen von Projekten, die im Finanzierungsstadium sind. Die Crux bleibt die Versicherungsfrage: welche Risiken kann und will ich eingehen, die durch keine konventionelle Filmversicherung abgedeckt sind? Und kann ich die Mehrkosten für die Hygienemaßnahmen finanzieren, die hauptsächlich in einer längeren Drehzeit liegen.
Wir waren mit einem Serienprojekt beim Serien-Markt Series Mania eingeladen, was normalerweise Ende März in Lille stattgefunden hätte. Zu Beginn des Lockdowns erstellten wir rasch und relativ spontan einen 6 Minuten Pitch für die online Version, Series Mania Digital, der erste große Filmmarkt, der schnell umdisponiert und den Schritt in eine digitale Festivalversion gewagt hat.
Welche Strukturen werden sich für die Produktionslandschaft entwickeln?
Stöter: Für Produzenten wird es schwerer werden, die sogenannten Marktsignale für Filmprojekte zu bekommen. Die Tendenz zu weniger und größeren Filme, die es schon vor der Pandemie gab, dürfte sich noch verstärken. Die größeren, vertikal strukturierten Produktionsfirmen werden es wohl einfacher haben, ihre Wertschöpfungsprozesse den neuen Gegebenheiten anzupassen. Für die unabhängigen kleineren Produzenten, insbesondere mit dem Schwerpunkt auf Kino, sehe ich die Notwendigkeit, aber auch die Chance zu einer noch engeren Kollaboration mit allen möglichen Partnern, um größere Projekte zu stemmen. Wir werden uns in Zukunft verstärkt mit Verleihern, anderen Produzenten und Studios zusammenschließen müssen, eventuell schon von Projektbeginn an, also lange bevor es zur Finanzierung kommt. Insofern ist die innerdeutsche Co-Produktion für mich eine neue interessante Perspektive. Ich hatte aber auch schon vor der Corona Krise entsprechende Co-Produktionsprojekte in Entwicklung, bei denen meine deutschen Produktionspartner vertikaler aufgestellt sind als wir.
Es ist schwierig vorauszuschauen, welche Veränderungen nach der Corona-Pandemie für die Produktionslandschaft insgesamt wirklich eintreten werden. Schon jetzt aber können wir klar feststellen, dass wir uns gesamtgesellschaftlich und global in einem Paradigmenwechsel befinden, in dem wir unsere Einstellungen zu Natur, Arbeit und Ernährung fundamental ändern und nebenbei unseren Freiheitsbegriff und unser Geschichtsverständnis gehörig revidieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass das so grundlegend und sowohl national als auch global schon mal der Fall war. Das wird Auswirkungen haben auf die Art und Weise, wie wir Filme produzieren und welche Inhalte in Zukunft entwickelt und vom Publikum goutiert werden.
Welche Auswirkungen werden die Auflagen bei Drehs für das Koproduktionsverhalten haben?
Stöter: Alle Länder sind unterschiedlich von der Pandemie betroffen und haben verschiedene Eindämmungsstrategien und Formen des Lockdowns verfolgt. Projekte, die wohlmöglich in Epizentren im Ausland spielen, sind sicherlich länger verschoben als kleinere lokale Projekte. Zudem muss man schauen, wie während der Pandemie eine Kooperation der verschiedenen staatlichen Ausfallfonds ausschauen könnte. Die müssten dann ja im Schadensfall auch miteinander kombiniert werden. Ich denke, dass der Abstimmungsprozess dafür recht groß sein wird.
Ich denke also, dass Produzenten zukünftig bei der Projektauswahl diese Dinge in Betracht ziehen und verstärkt lokale Projekte entwickeln, weil sie besser kontrollierbar und in Krisenzeiten weniger risikobehaftet ist. Wir können ja nicht davon ausgehen, dass COVID-19 die letzte Virusseuche auf dem Planeten bleiben wird.
Unsere Firma wird allerdings weiter auch Koproduktionen machen. Das gemeinsame Herstellen von Filmen (besonders in Europa) und deren gemeinsame Auswertung ist ein hohes kulturelles Gut, das wir nicht missen möchten. Allerdings werden wir dabei in Zukunft die strukturellen Risiken dafür genauer bewerten müssen.
Sie haben mit Ihrer Kollegin Nicole Gebhardts für den Produzentenverband ein Konzept zu nachhaltigem Drehen erarbeitet. Für wie realistisch halten Sie dessen Umsetzung zur Zeit?
Stöter: Ich sehe einen Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und der Klimakrise. Beides sind globale Phänomene, die ihren Ursprung haben in der Art und Weise, wie wir wirtschaften und uns ernähren. Wenn ich das weiß, kann ich ja nicht jetzt während der Pandemie sagen: Hygienevorschriften sind vorgeschrieben und teuer, beim nachhaltigen Produzieren muss deshalb gespart werden. Beides ist essentiell wichtig. Während der Pandemie sind aber wahrscheinlich einige Hygieneregeln einzuhalten, die eigentlich nicht mit den Nachhaltigkeitsregeln wie Abfallvermeidung, etc. zu vereinen sind.
Generell haben sich aber die meisten Produzenten des Produzentenverbandes verpflichtet, die von uns erarbeiteten klimafreundlichen Kriterien bei der Filmproduktion zu erfüllen. Im Übrigen fordern die meisten Filmförderungen inzwischen die Einhaltung dieser oder ähnlicher Kriterien sowie in Zukunft die Co2-Bilanzierung ein. Filmprojekte müssen dann eben entsprechend gut ausgestattet sein, sodass man sowohl Hygieneregeln als auch Nachhaltigkeitsprinzipien bestmöglich einhalten kann. Letztere sind übrigens oft nicht teurer. Der Mehraufwand liegt meist in der zusätzlichen Recherche, der Motivation des gesamten Teams für das Thema Nachhaltigkeit sowie die Buchführung und Evaluation der Maßnahmen.
Was würden Sie sich in dieser Krise vom MEDIA Programm wünschen?
Stöter: Entwicklung, Entwicklung, Entwicklung! Die Single und Slate Slate Funding Programme mit der angepassten Pauschalabrechnung war eine sehr praktische und effiziente Unterstützung für Produzenten für die schwierige Anfangsfinanzierung von Filmprojekten. Gerade in der Krise jetzt ist die Unterstützung der Produzenten in ihrer freien Entwicklungsarbeit von neuen Projekten das probateste Mittel, die Produzentenschaft in ihrer Vielfalt zu erhalten und Insolvenzen abzuwenden. Ich kann also nur daran appellieren, die MEDIA Single- und Slate- Entwicklungsförderung für Produzenten weiter zu stärken und auszubauen.
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