Crew United goes Europe

Ein Interview mit Irena Gruca-Rozbicka

300.342 Freelancer, 68.998 Firmen, 138.174 Schauspieler*innen und 581 Jobinserate: Die Zahlen sprechen für sich – und eine gewisse Größe. Denn groß werden, das scheint auch ein Anliegen von Crew United zu sein: groß in Europa.

Die Online-Plattform Crew United mit Sitz in München vernetzt Filmschaffende vor und hinter der Kamera. Nun hat sie einen weiteren Schritt in Richtung Europa gewagt: Seit Juni ist Crew United auch in Italien, Spanien, Griechenland, Rumänien und Litauen zu finden. Gefördert wurde die Expansion unter dem Label „Crew United Europe“ von Creative Europe MEDIA.
Die Firma erhielt im Rahmen des Aufrufes „Innovative Tools and Business Models“ 2022 die Fördersumme von 1.041.590 Euro, die zweithöchste Fördersumme des Aufrufes, bei dem 15 Mio. Euro an 22 europäische Projekte vergeben wurden. Der Aufruf richtet sich an Unternehmen, die innovative technologische Lösungen und neue Geschäftsmodelle für die audiovisuelle Branche anbieten. Bereits 2020 erhielt Crew United innerhalb der Förderlinie „Promotion of European Works online“ Unterstützung für ihre Vision, die im deutschsprachigen Terrain höchst erfolgreiche Plattform auch in Europa zu etablieren. So gibt es den Service der Plattform neben Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits auch in Polen und Frankreich.
Die Kombination aus Filmdatenbank und Branchenverzeichnis wurde im Jahr 1996 von Vincent Lutz und Oliver Zenglein in München ins Leben gerufen. 2019 gab es schließlich den ersten Schritt hin zu „Crew United Europe“ mit dem Launch der französischen Redaktion – und 2021 folgte die polnische Version, betreut von Irena Gruca-Rozbicka. Die gebürtige Polin ist zudem Gründerin von FilmPRO, dem bekanntesten polnischen Magazin für professionelle Filmemacher*innen. Bei Crew United steuert sie seit 2022 als European Development Coordinator die weiteren von Crew United „Reisen durch Europa“.

Wir haben mit ihr über die Entstehung, Hintergründe und Funktionen von „Crew United Europe“ gesprochen.
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Creative Europe Desk Deutschland: Was bietet Crew United den Filmschaffenden, die dort zu finden sind?

Irena Gruca-Rozbicka: Crew United ist das größte und wichtigste europäische Netzwerk der Filmbranche. Und zwar für Filmschaffende vor und hinter der Kamera. Hier können sie ihre eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen sichtbar machen, werden besser gefunden und können ihre Chancen auf attraktive Jobangebote erhöhen.

Unsere Plattform lässt sich kurz als eine Kombination aus Filmdatenbank und Branchenverzeichnis beschreiben. Ein Profil auf Crew United ermöglicht es, die eigene Filmografie präzise und zuverlässig darzustellen, herauszufinden, wer an welchen Projekten beteiligt ist, sowie mit detaillierten Kriterien Filmschaffende zu suchen. Auf Crew United finden sich alle Berufe und Tätigkeiten der Branche und alle Arten von Filmprojekten – somit wird im weitesten Sinne die gesamte audiovisuelle Branche abgebildet, was weltweit einzigartig ist.

Filmemacher*innen können die Filmdatenbank mit sehr raffinierten Filtern durchsuchen, zum Beispiel nach Drehphase, Finanzierungsquellen, beteiligten Fernsehsendern oder Drehort. Je nach Zielsetzung kann man sich über aktuelle Trends in der Projektfinanzierung informieren – oder sich einen Überblick verschaffen, welche Produktionen demnächst potenziell nach qualifizierten Crews oder Schauspielern suchen werden. So kann man bei der Jobsuche selbst sehr proaktiv vorgehen. Und wo wir schon dabei sind: Im deutschsprachigen Raum ist Crew United die größte Jobbörse im Filmbereich. Wir veröffentlichen jede Woche mehrere hundert Annoncen. Nicht zuletzt wird unsere Plattform nicht nur von Fachleuten, sondern auch von internationalen Filmfans genutzt.

Welche innovativen Tools ragen im Angebot von Crew United heraus?

Unsere Stärke ist die Redaktion hinter den Daten. Um die Glaubwürdigkeit von Informationen im Internet wird ja immer wieder diskutiert. Wir arbeiten darum mit einem „partizipativen Ansatz mit Moderation“. Das bedeutet: Neue Einträge der Nutzer werden von unserem Redaktionsteam überprüft. Etwaige Fehler lassen sich per E-Mail, Telefon oder direkt über das System mitteilen und werden umgehend korrigiert. Dabei nutzen wir auch eine sogenannte Künstliche Intelligenz, die eine erste Analyse der Daten vornimmt und Vorschläge zur Fehlerwahrscheinlichkeit und zur Priorität bestimmter Prüfmaßnahmen macht.

Auch Stellenanzeigen werden bei Crew United redaktionell geprüft. Dafür gelten Kriterien wie Arbeitsbedingungen, Aufgabenbeschreibung, tarifvertragliche Bedingungen sowie die Übereinstimmung mit den von der Filmgemeinschaft entwickelten Berufsbildern. Die Prüfung von Anzeigen erfordert ein hohes Maß an Erfahrung und Diplomatie. Wir haben Kollegen*innen in unserem Team, die 20 Jahre Erfahrung in der Branche haben – das kann durch kein Tool ersetzt werden.

Wenn es darum geht, sich der Branche zu präsentieren und zu „netzwerken“, bieten wir eine ganze Reihe leistungsfähiger Tools. Mit ihrem eigenen Profil können Filmschaffende, Firmen und Agenturen ihr gesamtes Spektrum an Kompetenzen präsentieren und anhand von audiovisuellen Features veranschaulichen. Die „Premium video+“-Accounts, die vor allem von Schauspieler*innen genutzt werden, sind dafür besonders gut geeignet: Alle Elemente wurden speziell für die Anforderungen des Besetzungsprozesses entwickelt.
Im persönlichen Profil lassen sich Notepads mit Personen oder Projekten anlegen. Ein anderes Tool zeigt den Grad der Verbindung mit der jeweiligen Person oder dem Unternehmen an. Das ist zum Beispiel nützlich, wenn man mit jemandem in Kontakt treten möchte, aber vorab die Meinung von gemeinsamen Kollegen einholen möchte.
In Arbeit haben wir noch ein großes Projekt, das die Kommunikation zwischen unseren Mitgliedern erleichtern soll: Dabei stehen der Ausbau der Vernetzung im Fokus sowie die Möglichkeit, sehr genau definierte Berufsgruppen mit Informationen zu erreichen.

Vor allem das macht wohl die Dynamik und Aktualität von Crew United aus: Dass eben nicht nur die Informationen über unsere Nutzer*innen in die Datenbank einfließen, sondern auch viele Innovationen von ihnen angeregt werden. So haben wir zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der französischen Filmkommission Agence Culturelle Grand Est einen speziellen Kontotyp für Filmcommissions entwickelt, um die Filmschaffenden aus der Region gezielt zu präsentieren. Das ist wichtig für lokal finanzierte Produktionen.
Solche Innovationen wie auch notwendige technische Anpassungen können wir sehr effizient umsetzen, weil alles innerhalb unseres Unternehmens stattfindet. Unsere Entwicklungsabteilung arbeitet ständig an Verbesserungen. Im Durchschnitt werden alle drei Wochen Updates veröffentlicht.

Was war der Auslöser, den Service von Crew United auch in anderen Ländern Europas anzubieten?

Der Traum von Europa schwang sicherlich von Anfang an mit, als Crew United vor 26 Jahren startete. Die Idee war ja, über Grenzen zu blicken, Netzwerke auf Augenhöhe zu ermöglichen, Transparenz zu schaffen. Doch erstmal ging es darum, ein völlig neues Konzept vorzustellen. Das wurde in der deutschsprachigen Film- und Fernsehwelt erfreulich zügig angenommen. In dieser Zeit haben wir viel Wissen über die Abläufe in der Branche gesammelt. Wir haben viele Lösungen in der deutschsprachigen Branche getestet und parallel dazu Trends in anderen europäischen Ländern beobachtet. Viele Länder haben ähnliche Probleme – Fachkräftemangel etwa, schwierige Arbeitsbedingungen oder mangelnde Transparenz im Einstellungsverfahren. Und: Auch in der Filmbranche ist „Europa“ über die Zeit ein bisschen realer geworden. Beim Informationsaustausch und der gegenseitigen Unterstützung sucht man vermehrt nach gemeinsamen Lösungen auf europäischer Ebene. Nun, im deutschen Sprachraum hat Crew United unbestreitbar zur Verbesserung der Transparenz und des Informationsflusses beigetragen. Unsere Schlussfolgerung ist also klar.

Auch wenn innerhalb der EU insgesamt die weltweit meisten audiovisuellen Inhalte produziert werden, ist der Umfang der Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern jedoch verhältnismäßig gering. Das hat zur Folge, dass wir nicht nur verpassen, voneinander zu lernen, sondern auch bei der Verbreitung von Inhalten immer noch verlieren – nach wie vor sind US-amerikanische Produktionen die Gewinner im Box Office. Allein das zeigt, wie groß das Verbesserungspotenzial ist.

Der erste Schritt zur Entwicklung von Crew United Europe war der Launch einer französischen (2019) und einer polnischen Version (2021) unserer Website. Die Resonanz war enorm positiv – von Filmschaffenden aus allen Gewerken, von Produktionsfirmen, Facilities, Verbänden, Gewerkschaften und brancheninternen Organisationen … Sie bestätigte uns in den Plänen, weiterzugehen und jetzt Crew United in Italien, Spanien, Griechenland, Rumänien und Litauen zu starten. Ein weiterer Schritt zum Ziel, die Filmindustrie in allen europäischen Ländern zu stärken und alle europäischen Filmschaffenden miteinander zu verbinden.

Europäisch zu arbeiten, bedeutet auch mehr Arbeitsaufwand. Wo liegt der Mehrwert für Sie als Betreiber?

In der Zukunft, davon gehen wir aus. 44.000 Members haben bereits ein Profil auf Crew United. Durch die neuen Sprachen ist mit einem erheblichen Anstieg der Registrierungen auf europäischer Ebene zu rechnen. Davon profitieren natürlich wir, vor allem aber die User in allen Ländern. Für uns bedeutet das zuerst einmal unzählige Herausforderungen, viel Zeit und enorme Kosten. Denn wir bringen ja nicht einfach eine neue Sprachversion heraus, für die wir unsere Datenbank mal eben durch einen Übersetzer gejagt haben. Hinter jeder Version steht und prüft ein muttersprachliches Redaktionsteam mit Branchenerfahrung im jeweiligen Land.

Natürlich könnten wir uns mit unserem lokalen Erfolg in der deutschsprachigen Branche gut einrichten. Aber das ist nicht unsere Denkweise. Crew United begann als Start-up von zwei Filmschaffenden und konnte sich etablieren, weil die anderen Filmschaffenden von Idee und Umsetzung überzeugt waren und mitmachten. Wir sehen diesen Erfolg auch als Verantwortung für die Entwicklung der gesamten europäischen Industrie, zu der wir gehören.

Crew United hat zum zweiten Mal eine Förderung von Creative Europe MEDIA erhalten. Für welche Bereiche und Aufgaben wurden und werden die aktuellen Fördergelder eingesetzt?

Aus diesen Mitteln wurden die Vorbereitung und der Aufbau der Landesnetzwerke Crew United Italy, Crew United Spain, Crew United Romania, Crew United Lithuania und Crew United Greece finanziert. In der ersten Phase haben wir sehr kompetente lokale Experten aus diesen Ländern gefunden und eingestellt. Mit ihrer Unterstützung hat die Arbeit an dem Networking & Partnering mit professionellen und politischen Stakeholdern in der Filmindustrie angefangen. Anschließend wurde die Datenbank von den jeweiligen Teams übersetzt, und die Qualität dieser Übersetzungen (vor allem im Bereich der beruflichen Nomenklatur) wurde von Organisationen in allen Ländern geprüft.

Die Datenbank wird jetzt systematisch um Informationen aus allen neuen Ländern erweitert. Wir stellen Listen von Institutionen, Organisationen, Filmhochschulen, Fördermöglichkeiten, Festivals, Arbeitsmarktregelungen u.v.m. zusammen. Parallel arbeiten wir an individuellen Markteinführungsstrategien für die Landesnetzwerke und natürlich an der Backend- und Frontend-Programmierung. Gleichzeitig laufen die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für das oben erwähnte neue Instrument mit dem Arbeitsnamen „Channels“.

Seit dem 12. Juni 2023 ist Crew United in Griechenland, Italien, Litauen, Rumänien und Spanien online. Warum gerade dort?

Nach Frankreich und Polen nehmen wir nun zwei sehr große und florierende Filmmärkte in unser Netzwerk auf: Italien und Spanien. Aufgrund ihrer Größe und auch aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung der audiovisuellen Industrie verfügen diese Länder über ein enormes Potenzial. Griechenland, Litauen und Rumänien sind aufgrund ihrer spektakulären Standorte, der hohen Qualität ihrer Produktions- und Postproduktionsdienstleistungen und ihrer erstklassigen Filmkunst sehr interessant für internationale Koproduktionen.

Die Kombination aus großen, finanzstarken Ländern und kleineren Ländern mit hoher künstlerischer Bedeutung, aber geringerer Rentabilität ist beabsichtigt und entspricht unserem Gedanken einer fairen und gleichberechtigten Entwicklung für alle Märkte.
Der Entscheidung für diese Länder ging natürlich eine Recherche voraus. Wir bekamen einen Einblick in die lokalen Strukturen und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind. Wir haben verstanden, wie man dort Crews und Schauspieler*innen findet. Vor allem aber bauten wir unser erstes Netzwerk von Berater*innen vor Ort auf, die uns mit Informationen aus erster Hand versorgten – denn das ist nun mal, was wir am besten können. Eine ähnliche Strategie werden wir auch bei unseren nächsten Entscheidungen anwenden, von denen wir auf dem Weg zu Crew United Europe noch eine Menge vor uns haben.

Gute Datenbanken brauchen gute Teams dahinter. Wie kamen Sie an die neuen Mitarbeiter*innen. Was zeichnet sie aus?

Natürlich haben wir nicht nur Mitarbeiter*innen eingestellt, die sich mit Datenbanken auskennen oder einfach nur Filme mögen. Die Redakteur*innen vor Ort sind Expert*innen dafür, wie der Markt funktioniert – sie müssen seine Strukturen verstehen, wissen, wie die Auswahl der Crew und die Besetzung von Cast funktioniert, die Organisationen der Filmemacher*innen kennen und wissen, woran sie arbeiten. Sie müssen auch Kenntnisse über ihr Heimatland hinaus haben – schließlich schaffen wir gemeinsam Crew United Europe!

Die Anforderungen waren also sehr hoch. Aber heute können wir mit Zuversicht sagen, dass das Team, das wir zusammengestellt haben, über eine unglaubliche Kompetenz verfügt.
Wir haben unter anderem die ehemalige Film Commissionerin der Hellenic Film Commission, Venia Vergou, an Bord. Wir haben Filmjournalist*innen und Film-PR-Spezialist*innen mit fast 20 Jahren Erfahrung, nämlich das italienische Superduo Pierpaolo Festa und Antonio Bracco. In Rumänien arbeitet ein Produzent mit Erfahrung im Banking und Advertising für uns: Bogdan Botescu. In Litauen ist es Romanas Matulis, Manager des Baltic Film & Creative Tech Cluster. Auch Spanien verfügt über ein starkes Team mit Noemi Cuetos, die seit vielen Jahren in der Kommunikationsabteilung vieler Festivals und in jüngster Zeit als Filmberaterin für viele staatliche Institutionen tätig ist, und Olivia Rogalla de Macedo, eine qualifizierte und aktive Schauspielerin mit internationaler Erfahrung. Alle sind starke Persönlichkeiten, aber auch Teamplayer*innen. Parallel zur Entwicklung der lokalen Versionen arbeiten wir bereits an internationalen Initiativen. In Zusammenarbeit mit dem französischen Coachingteam „Médiane-Art&Communication“ haben wir bereits die Webinar-Reihe „Actors On The Move“ ins Leben gerufen, die der Schauspiel-Community vorstellt, wie in weiteren europäischen Ländern gearbeitet wird. Aber das ist erst der Anfang!

Welche Ausgangssituation in Bezug auf Datenbanken und Vernetzung der Branche gab es in den jeweiligen neuen Ländern? Wie digital und vernetzt bislang arbeitet die Branche den fünf Ländern?

Da stehen wir vor sehr unterschiedlichen Situationen. Es gibt Teile Europas, wo noch kaum jemand gewohnt ist, sich online zu präsentieren oder ein Team zu suchen. Alles geschieht auf der Basis von Bekanntschaften – ein Kollege von mir kennt da jemanden … Natürlich arbeiten alle lieber mit Leuten, die sie kennen und schätzen. Das wollen wir auch nicht ändern. Aber die Frage des Zugangs zu Angeboten, der Chancengleichheit und der Transparenz ist eine andere. Und hier gibt es noch viel zu tun.

In anderen Ländern gibt es Datenbanken von Filmemacher*innen, die von Berufsverbänden eingerichtet wurden, die aber nicht mit der europäischen Gemeinschaft verbunden sind und sehr oft jahrelang kein Update genossen haben. Andere sind sogar im Besitz großer Produktionsfirmen und werden nur intern genutzt. Auf dem Schauspieler*innen-Markt sieht es etwas besser aus, denn die Schauspieler*innen wissen seit einigen Jahren, dass sie sichtbar sein müssen, damit die Casting-Direktor*innen ihre Bewerbungen berücksichtigen können. In diesem Bereich gibt es mehr Wettbewerb, aber auch nur wenige Plattformen haben ein so breites Angebot und eine Mission wie die unsere. Die Plattform, die überall bekannt ist, ist natürlich die IMDb, die sich auf den US-Markt spezialisiert hat und zu Amazon gehört. Zu ihren Prioritäten gehört jedoch nicht das lokale Engagement in europäischen Ländern zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Oft behelfen sich die Filmschaffenden mit Gruppen auf Social-Media-Plattformen oder Instant Messaging. Die erfüllen ihren Zweck als schnelle Form der Kommunikation, aber der Aspekt der Informationsüberprüfung und -sicherheit ist dort praktisch nicht vorhanden. Wer auf diesem Weg einen Auftrag annimmt, kann nicht unbedingt sicher sein, für was er/sie da eigentlich eingestellt wird. 

In den deutschsprachigen Angeboten bietet Crew United sehr unterschiedliche Abo-Modelle (Basic Member (kostenfrei), Premium Member, Premium video+ und Agency complete.). Werden diese Abo-Modelle auch auf die anderen Länder übertragen?

Grundsätzlich ja. Der Unterschied ist, dass Filmemacher*innen aus Ländern außerhalb Deutschlands von uns ein spezielles einjähriges kostenfreies Probe-Abonnement erhalten. Der deutsche Markt kennt die Effektivität des Crew-United-Tools. Nutzer*innen in neuen Ländern müssen es erst noch einsetzen und kennenlernen. Und Crew United ist sehr komplex. Deshalb erhalten Filmschaffende in diesen Ländern neben einem kostenlosen Jahr auch eine persönliche Online-Beratung durch uns in ihrer Sprache. Wir erklären ihnen im Detail, wie sie die Ressourcen von Crew United nutzen können, um ihre eigene Karriere oder ihr Unternehmen zu entwickeln.

Können sich bei Crew United Europe auch Filmschaffende anderer Länder anmelden? Z.B., wenn sie wissen, dass sie mehrsprachig sind oder grenzübergreifend arbeiten wollen?

Natürlich! Freelancer aus 74 Ländern, Schauspieler und Schauspielerinnen aus 59 Ländern und Agenturen, Produktions-, Dienstleistungs-, Vertriebsunternehmen aus 54 Ländern sind derzeit bei Crew United registriert. Seit 2018 ist die Seite in englischer Sprache verfügbar, um die Zusammenarbeit in allen Ländern der Welt zu erleichtern, in denen wir noch keine Redaktionen haben. Die französisch- und spanischsprachigen Versionen wiederum machen uns nicht nur für User aus den europäischen Ländern leicht nutzbar. Weltweit sprechen 577 Millionen Menschen Spanisch und rund 300 Millionen Menschen Französisch. 

Wie kann ein Wesensmerkmal der Crews, die reale Arbeit am Set und der Austausch, auch mit der europäischen Erweiterung gelingen?

Internationale Koproduktionen sind seit vielen, vielen Jahren Teil der Produktionsrealität. Und ebenso die Suche nach Spezialist*innen dafür in verschiedenen Ländern. Nur sind die Methoden, mit denen dies geschieht, leider nicht perfekt. In vielen Ländern gibt es keine Transparenz, wenn es um den Zugang zu Fachleuten geht. Ob sie für eine Produktion empfohlen werden, liegt im Ermessen von Einzelnen – Produzent*in, Produktionsleitung, Casting Directors … Es ist ein System, in dem man warten und hoffen muss und damit die Kontrolle an andere abgibt. Das ist weder mit den Bedingungen des freien Marktes vereinbar, noch verbessert es das internationale Image eines Landes: Man weiß nicht, an wen man sich wenden kann. Und nicht zuletzt haben viele Menschen das Gefühl, durch diese Abhängigkeit eingeschränkt zu sein und keine angemessenen Fähigkeiten entwickeln zu können.

Bei der Einstellung von Freelancern ist auch die Information über die Arbeitsbedingungen wichtig. Es gibt viele Länder in Europa, in denen die Tarife in den einzelnen Departments ein offenes Geheimnis sind. Darüber hinaus ist auch die prozentuale Quotenverteilung innerhalb des Teams unbekannt. Das ist nicht gut für Filmemacher*innen oder Schauspieler*innen, weil wiederum jemand anhand unklarer Kriterien für sie entscheidet. Und natürlich werden sie oft ausgebeutet, weil sie für Hungerlöhne Überstunden leisten. Aber es ist auch sehr problematisch für Produzent*innen, die sich jedes Mal mit unterschiedlichen Vorstellungen über die Preise auseinandersetzen müssen und denen es immer schwerer fällt, ein Budget zu erstellen. Aber bis es einen offiziellen Maßstab in Form von Mindestlöhnen gibt, wird es so aussehen. Dies ist ein weiterer Bereich unserer Tätigkeit – wir möchten, dass diese Leitlinien erstellt werden, wir unterstützen lokale Produzentenorganisationen, aber auch Gewerkschaften bei der Erarbeitung, indem wir Beispiele aus anderen Ländern bereitstellen und sie mit internationalen Organisationen vernetzen.

In der Pressemitteilung zum neuen Launch heißt es: „Die Bewältigung der großen und aktuellen Herausforderungen – wie ökologische Nachhaltigkeit, Arbeitsbedingungen, Fachkräftemangel, den Erhalt des Kinos, die Auswirkungen von KI u.v.m. – wollen wir durch Wissens- und Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene unterstützen.“ Was genau will Crew United Europe hier tun?

Den Gründungsgedanken hatte ich ja schon geschildert. Er gilt immer noch, denn das macht unsere Plattform aus: Wir stehen für eine faire, transparente, inklusive sowie künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreiche Branche. Um die erwähnten Probleme zu bewältigen (zu denen übrigens auch Chancengleichheit in all ihren Facetten gehört ...), haben wir zum einen selbst viele gute technische Lösungen entwickelt. Zum anderen arbeiten wir mit vielen Initiativen zusammen, die darauf abzielen, den Zustand der Branche zu verbessern. Auf Europa-Ebene wird das wohl noch besser, denn wir möchten dazu beitragen, dass Ideen und bewährte Praktiken über die Sprachgrenzen hinweg geteilt werden, um gemeinsam Lösungen zu finden und umzusetzen.  Wir denken dabei an Initiativen wie etwa den Fair Film Award: Jedes Jahr können unsere deutschsprachigen Mitglieder die Arbeitsbedingungen in den Produktionen, an denen sie mitgewirkt haben, bewerten. Sie tun dies, indem sie in einer Umfrage sehr detaillierte Fragen beantworten. Die am besten bewerteten Produzent*innen erhalten den Fair Film Award im Rahmen einer Gala während der Berlinale. Die Förderung guter Praktiken und die Auszeichnung von Produzent*innen sind ein sehr gutes und wirksames Instrument, um alle an der Produktion Beteiligten um eine äußerst konstruktive Idee zu versammeln.

Außerdem ermöglichen wir die Durchführung branchenrelevanter Studien, organisieren Workshops und unterstützen die Entwicklung von Green Shooting. Wir sind hauptsächlich ein Unternehmen, das viele Daten über Filmproduktionen sammelt, verarbeitet und prüft. Deshalb beteiligten wir uns in den Jahren 2020 und 2021 an der Durchführung von Studien wie "VIELFALT IM FILM" für das Bündnis für Vielfalt im Film der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder den „Bericht zu den Arbeitsbedingungen von Film- und Fernsehschaffenden" für die Berliner Senatskanzlei. Die Ergebnisse dieser Studien werden dazu beitragen, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen und die Arbeitsbedingungen am Set zu verbessern. Durch diese Maßnahmen helfen wir allen Filmschaffenden, ihre vielfältigen Erfahrungen und Ideen einzubringen und ihr wahres Potenzial in den kommenden Jahren voll auszuschöpfen.

Während der Berlinale 2020 haben wir beschlossen, gemeinsam mit der Gewerkschaft Ver.di das Projekt "Netzwerk Film und Demokratie" zu starten. "Netzwerk Film und Demokratie" ist eine Brancheninitiative gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Rassismus, antidemokratische Tendenzen und Rechtspopulismus. In den seither regelmäßig stattfindenden Treffen und Workshops der Initiative – an denen sich zahlreiche Verbände und Organisationen beteiligt haben – hat die Filmbranche eine Position und einige Kommunikations- und Handlungsanweisungen erarbeitet, die darauf abzielen, die Versuche der Politik, die Freiheit der Filmschaffenden einzuschränken, zu reduzieren.

Alle oben genannten Maßnahmen sollen die Werte unterstützen, die tief in unserer Unternehmens-DNA verankert sind: Fairness, Gleichheit, Nachhaltigkeit, Transparenz, Vielfalt, Toleranz, Green Shooting, Kosmopolitismus, Mut und Freigeist.

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