Connecting Cinemas – EU-Förderung für Projekt aus Brandenburg und Berlin

Cinemas as Innovation Hubs – Kinos als Innovationszentren

  • Neue Kammerspiele Kleinmachnow

    © Neue Kammerspiele Kleinmachnow

Mit dem Aufruf „Cinemas as Innovation Hubs for Local Communities“ hat sich die Europäische Kommission im vergangenen Jahr auf die Suche nach innovativen Projekten von Kinos gemacht, die in Kooperation mit Kultureinrichtungen im ländlichen Raum neue Angebote etablieren können. Für diese innovativen, kulturellen Zentren rund um Kinos hat die EU-Kommission in einer “Vorbereitenden Maßnahme” 2 Mio. Euro bereitgestellt. Aus 46 Einreichungen wurden nun drei Ideen ausgewählt, darunter „Connecting Cinemas“ aus Deutschland. Es ist ein gemeinsames Projekt der Neuen Kammerspiele aus Kleinmachnow in Brandenburg (Carolin Huder, Valeska Hanel) und dem Public Art Lab aus Berlin (Susa Pop).

Das Pilotprojekt sieht eine enge Zusammenarbeit von Kinos in ländlichen Regionen mit anderen Partnern aus Kultur, Wissenschaft, Technik oder dem soziokulturellen Bereich vor. Bei „Connecting Cinemas“ arbeiten vier Kinos aus ländlichen Gebieten in Deutschland, Rumänien, Griechenland und Kroatien mit zwei Kulturzentren, drei Festivals, drei EU-Netzwerken, zwei Universitäten, einem Medientech-Netzwerk und einem Zentrum für soziale Unternehmer aus insgesamt sieben europäischen Ländern zusammen. Das Projekt mit einer Laufzeit von gut 18 Monaten startet im Sommer 2020. Die Ziele und Visionen „Connecting Cinemas“ sollen in Form von nationalen und internationalen Workshops sowie Veranstaltungen umgesetzt werden.

Nach einer Analyse der Herausforderungen, die Filmtheater in ländlichen Gebieten bewältigen müssen, haben die Initiatorinnen Carolin Huder, Valeska Hanel und Susa Pop für „Connecting Cinemas“ drei zentrale Themen entwickelt: „Connect“, „Entertain“ und „Engage“. Sie dienen als Leitthemen, um einen Wandel der Kinos zu Innovations- und Gemeinschaftszentren voranzutreiben. „Connect“ steht für eine europaweite Vernetzung von Kinos und Kulturorten, u.a. mithilfe technischer Systeme. Diskussionen und der Austausch von regionalen Perspektiven im Rahmen von Film- und Kulturprojekten werden möglich und fördern zugleich Verständnis, Empathie und den Wissenstransfer innerhalb Europas. Der Bereich „Entertain“ fragt, wie Kinos zu Kulturzentren werden, in denen Veranstaltungen, Festivals, Workshops, aber auch spielerische Interaktionen oder VR- und AR-Formate ihren Platz finden. Im Fokus steht hierbei natürlich auch ganz besonders das jüngere Publikum. Mitmachen ist das Zauberwort, wenn es um „Engage“ geht, ob durch bürgerschaftliches Engagement mit Blick auf das lokale Publikum, durch partizipatorische Formen des gemeinschaftlichen Geschichtenerzählens, durch die Integration gesellschaftlich dringlicher Themen – von Solidarität, Nachhaltigkeit oder der Integration von Minderheiten.

Für „Connecting Cinemas“ konnte, u.a. mit Unterstützung des Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg, eine spannende Mischung von europäischen Partner gewonnen werden: Fortress Šibenik (Kroatien), Amza Pellea Cinema, Rasnov (Rumänien), Cinema Star, Veria (Griechenland), das M2C Institut für angewandte Medientechnologie und Kultur an der Städtischen Hochschule für angewandte Wissenschaften Bremen, die Amsterdam University of Applied Sciences (Niederlande), KEA European Affairs Brussels (Belgien) sowie b.creative network und Connecting Cities Network.

Hinter dem Projekt „Connecting Cinemas“ stehen Carolin Huder, Valeska Hanel (Neue Kammerspiele, Kleinmachnow) und Susa Pop (Public Art Lab, Berlin). Hier ein Gespräch mit Susa Pop über die Hintergründe, Motivation und den Wunsch nach Kinodiversität in Europa.

Was war der ausschlaggebende Impuls, sich für die EU-Förderung zu bewerben?

„Connecting Cinemas“ ist eine gemeinsame Idee von den Neuen Kammerspielen und Public Art Lab, die bereits vor dem Aufruf entstand. Die Idee basiert auf Public Art Labs Connecting Cities-Projekt, das weltweit Menschen über digitale Großbildschirme mit interaktiven künstlerischen Szenarien in Austausch bringt. „Connecting Cinemas“ bringt die Kinobesucher über vernetzte Kinoleinwände in einen lebhaften Dialog. So können die Besucher zeitgleich einen Film sehen und danach darüber diskutieren. Auch das Foyer der Kinos kann bereits die Kinobesucher an verschiedenen Orten in Echtzeit vernetzen – und durch eine gemeinsame Aktion an verschiedenen Orten – in Austausch bringen.

Wie sieht hierbei die Zusammenarbeit zwischen den Neuen Kammerspielen und dem Public Art Lab aus?

Die Kammerspiele machen seit Jahren ein phantastisches Filmprogramm, das über das klassische Arthausprogramm hinausgeht und die Kinobesucher*innen stark miteinbezieht. Beispielsweise servieren sie zu Filmklassikern Drinks, die im Film eine Rolle spielen: zu „Big Lebowski“ gibt es White Russian und zu „Dr. Schiwago“ Krimsekt. Außerdem ist das Haus für handverlesene Veranstaltungen und Aktionen bekannt, die weit über den Kinosaal hinausgehen. Für ihre hervorragende Programmarbeit wurden sie auch mehrfach mit dem Kinoprogrammpreis Berlin-Brandenburg ausgezeichnet – mehrfach mit der Spitzenprämie. In vielen Aktionen involvieren sie ihre Gäste direkt – so zuletzt geschehen in ihrem Kinotrailer ‚Wir sind mehr’ gegen Nazis, an dem fast 400 Kinobesucher*innen dem Aufruf der Kammerspiele folgten und vor der Kamera gegen rechte Gesinnung Haltung zeigten – der Trailer war dann vor den Filmen zu sehen. Darüber hinaus sind die Neuen Kammerspiele erfahren in erfolgreicher Netzwerkbildung. Gemeinsam mit einem anderen Brandenburger Kino riefen sie den Kinomacherinnen-Stammtisch Berlin-Brandenburg ins Leben, der sich mittlerweile soweit professionalisiert hat, dass er eigene Veranstaltungen im Rahmen der Berlinale und der Leipziger Filmkunstmesse moderiert, auf denen er die Netzwerkarbeit untereinander fördert und Hilfen gibt, wie sie gelingen kann.

Public Art Lab kuratiert und produziert ländervernetzende Medienkunstprojekte und Kommunikationsformate im öffentlichen Raum, die die Öffentlichkeit in künstlerisch-gesellschaftliche Prozesse einbeziehen und einen lokalen und interkulturellen Dialog und Brücken zwischen den Menschen bauen. Diese urbanen Interventionen bringen Kooperationen und Netzwerke hervor an der Schnittstelle von Stadtplanung, digitalen Medien, Wirtschaft und Wissenschaften – und in Zusammenarbeit mit Städten und Regionen weltweit. In den letzten Jahren hat Public Art Lab vor allem künstlerische Projekte für die Visualisierung und Kommunikation von Umwelt- und Wissenschaftsthemen realisiert. Im Rahmen des Internationalen UNESCO Lichtjahres hat PAL gemeinsam mit der Stadt Jena ein neues Licht- und Wissenschaftsfestival mit dem kuratorischen Thema 'Von Unsichtbaren und Sichtbaren Städten', kuratiert und mit der Stadt und den Wissenschaftsinstitutionen zur Umsetzung gebracht. Für die Energieavantgarde Anhalt in Zusammenarbeit mit der Bauhaus Stiftung Dessau und der Innogy Stiftung hat PAL großformatige Interventionen für Datenvisualisierung von erneuerbaren Energien in sogenannten Reallabors entwickelt.

Wie sich schon im Vorfeld gezeigt hat, profitieren die Neuen Kammerspiele und Public Art Lab von ihrer Expertise und schaffen – gemeinsam mit den anderen Partnern – Synergien, um „Connecting Cinemas“ erfolgreich umzusetzen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Kinos und Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen?

Obwohl das Kino häufig und historisch eher als Medium der Großstadt wahrgenommen wird, sind Kinos gerade für die ländliche Region von überaus großer Bedeutung. Nicht nur stellen sie häufig die einzige Kulturstätte überhaupt dar, sondern sind darüber hinaus auch Treffpunkt, nachbarschaftliches Informationszentrum und verbinden die Einwohner*innen.

Kinos in ländlichen Regionen kämpfen mit dem Bevölkerungsschwund und sind dadurch großen wirtschaftlichen Risiken ausgeliefert: Anschaffung und Instandhaltung von Technik und Räumen sind kostspielig – zudem sind die Kinos besonders gefordert, ein Programm zu entwerfen, das die Einwohner*innen der Region gruppenübergreifend anspricht und den Mehrwert des Kinoerlebnisses im Verhältnis zu Streamingdiensten überzeugend in den Vordergrund hebt. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dieses dann professionell und erfolgreich zu kommunizieren, damit es das Publikum weitläufig erreicht.

Allerdings liegt auch eine Chance in den Kinos der ländlichen Regionen: Ein Kino kann zu dem Hotspot einer Region avancieren, weil ein kulturelles und kommunikatives Zentrum dringend gebraucht wird. Hier zeigt sich, wie wichtig es besonders in der Fläche ist, Kino über das bloße Filmezeigen hinaus zu denken.

Was wollen Sie mit „Connecting Cinemas“ erreichen? Welches „Happy End“ wünschen Sie sich?

Wir möchten mit dem Pilotprojekt „Connecting Cinemas“ Kinos im ländlichen Raum zu neuen Kulturzentren transformieren und über die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Kinos in ländlichen Regionen Synergien bilden und den ländlichen Raum kulturell beleben – und damit einen Beitrag zum Erhalt der Kinodiversität in Europa leisten. Hierfür nutzen wir die Möglichkeiten, die uns kreative digitale Technologien heute bieten.

Wir wünschen uns, für alle beteiligten Kinos Lösungsansätze zu finden und Strategien zu entwickeln, um deren Fortbestand zu sichern und mehr Zuschauer*innen zu generieren. Gerade jetzt – inmitten der Coronakrise – ist es wichtig, den Kinos alle Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen!

Wie haben sie ihre europäischen Partner gefunden?

Existierende Kinonetzwerke und der Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg haben uns geholfen, passende Kinopartner im ländlichen Raum zu finden. Public Art Lab hat viele Kunst- und Medientechnologiepartner aus seinem Netzwerk eingebracht.

Warum sind solche europäischen Zusammenschlüsse aus ihrer Sicht wichtig?

Leider hat Europa in den letzten Jahren einen starken Rechtsruck erfahren. Die eigenen Nationalitäten spielen in vielen Ländern wieder eine große Rolle. Mit europäischen Kooperationen wie „Connecting Cinemas“ möchten wir die Menschen aller Nationen erreichen und zu einer gemeinsamen europäischen Vision mit seiner Vielfalt an Nationen und Migrationskulturen beitragen. Kino als ein Medium, dessen Hauptcharakterzug eine starke Identifikationsbereitschaft mit anderen Menschen transportiert und die Empathiefähigkeit seiner Zuschauer*innen bildet, eignet sich besonders dafür, verbindend zu wirken.

Wie können sich die unterschiedlichen Partner gegenseitig inspirieren und helfen?

Die Partner ergänzen und inspirieren sich durch ihr unterschiedliches Expertenwissen von klassischem Arthouse-Kinoprogramm, urbanen Medienkunstprojekten, ländlichem Tourismus, europäischer Kulturpolitik und digitalen Games-Forschungsprojekten. Auch im Bereich der Zielgruppenerforschung, der Programmgestaltung und -bewerbung ist der Austausch untereinander von großer Bedeutung. Doch auch darüber hinaus können Zusammenschlüsse von Interessengemeinschaften wirken, beispielsweise, wenn sie ihre Stimme gemeinsam erheben, um bestehende Zustände zu hinterfragen oder sogar die Novellierung von Bedingungen auf politischer Ebene anzustoßen.

Kino, Kunst, Forschung, Technik, Publikum: Wie und mit welchen Hoffnungen wollen sie diese Bereiche und Themen miteinander verbinden?

In den „Connecting Cinemas“ Labs wollen wir einen Wissenstransfer der verschiedenen Disziplinen und Kinos in den verschiedenen Ländern generieren und gemeinsam die Themenwelten CONNECT / ENTERTAIN / ENGAGE für eine breite Öffentlichkeit umsetzen. Vor allem durch die Mittel der neuen Technologien möchten wir zum länderübergreifenden Diskurs untereinander ermuntern, einerseits eventuelle landes- und kulturtypische Unterschiede wahrnehmen, andererseits die uns verbindenden menschlichen Gemeinsamkeiten betonen.

Auf welchen Kommunikationswegen wollen Sie das Publikum im ländlichen Raum für ihre Ideen begeistern?

Wichtig ist uns das Publikum, die lokalen Akteure und die Institutionen bei der Programmgestaltung von „Connecting Cinemas“ von Anfang an miteinzubeziehen. Hierfür nutzen wir die Möglichkeiten des Kinos und der vernetzten Leinwände, und wir öffnen zur gleichen Zeit das Kino zur Stadt und zu den Regionen mit Festivals und Interventionen im urbanen Raum.

Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen und Chancen in der Region Brandenburg, aber auch mit Blick als Randregion zur Großstadt Berlin?

„Connecting Cinemas“ ist ein Pilotprojekt, das durchaus ein Modell für andere ländliche Regionen werden könnte. Wir werden die Aktionen mit den europäischen Partnern und dem Publikumsfeedback auswerten und in einem 'Manual', einer Art Gebrauchsanweisung festhalten und mit anderen Akteuren teilen.

Wie sehen die nächsten Arbeitsschritte aus?

Normalerweise hätte ein Treffen aller Partner in Kleinmachnow im März stattgefunden. Durch die Corona Pandemie geht das Projekt im Sommer los, mit einem virtuell-vernetzten „Connecting Cinemas“ Lab aller Partner. Hier werden wir das inhaltliche Programm und die technische Infrastruktur besprechen und das Projekt so aufsetzen, dass wir in den kommenden Monaten mit einem europäisch vernetzten Kinoprogramm und urbanen Interventionen starten können.

 

Hintergrund: Die 1936 bis 1938 erbauten Kammerspiele Kleinmachnow sind heute Brandenburgs erste KulturGenossenschaft mit rund 200 Genoss*innen. Das Programmkino mit einem Fokus auf anspruchsvolle europäische Filme wurde mehrmals mit dem Kinoprogrammpreis des Medienboard Berlin-Brandenburg ausgezeichnet, war zweimal Kino bei „Berlinale Goes Kiez“ und ist Mitglied des von Creative Europe MEDIA geförderten Kinonetzwerkes „Europa Cinemas“. Das Kino stellt sich zudem offen gegen Rechtsextremismus und feierte 2019 zusammen mit der Flick-Stiftung das „Schöner leben ohne Nazis“-Festival mit Filmen, Musik, Lesungen und Diskussionen. Geschäftsführerin ist Carolin Huder, Kinoleiterin ist Valeska Hanel. https://neuekammerspiele.de/

Das Public Art Lab (PAL) ist ein in Berlin ansässiges Aktionsforschungslabor und Plattform für urbane Medienkunst. Es erforscht, kuratiert und produziert künstlerische Projekte in der städtischen Öffentlichkeit an der Schnittstelle von Medienkunst, Stadtplanung und kreativen Technologien. PAL ist spezialisiert auf kreative Stadtgestaltung, Bürgerwissenschaft und translokalen Dialog, die soziale Interaktionen und bürgerschaftliches Engagement fördern. ZU den Projekten gehören Digital Calligraffiti (veranstaltet gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt zum 100. Geburtstag Mandelas) und Connecting Cities. http://www.publicartlab-berlin.de/

Mehr Informationen: "Cinemas as Innovation Hubs - Kinos als Innovationszentren" – ein Interview mit Lucia Recalde, Leiterin des MEDIA Programms in der Europäischen Kommission. LINK https://creative-europe-desk.de/artikel/2019-08-24/Aufruf-der-EU~Kommission:-%22Cinemas-as/?id=4845

Das Interview führte Nikola Mirza.