Anschub für Europa beim Berlinale Co-Production Market

Interview mit Martina Bleis

  • Berlinale Co-Production Market 2022 Award Ceremony © Lydia Hesse

Der Berlinale Co-Production Market bringt alljährlich rund 600 Produzent:innen, Verleiher:innen sowie Verantwortliche von Sendern, Weltvertrieben und Förderern zusammen, die an internationalen Koproduktionen arbeiten. An fünf Tagen werden neue Spielfilm- und Dramaserienprojekte vorgestellt, die auf der Suche nach Koproduktions- und Finanzierungspartner:innen sind. 2023 ist das 20. Jubiläum des Branchenevents.

Martina Bleis, die den Co-Production Market heute leitet, ist von Anfang an dabei. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was sich in den vergangenen 20 Jahren verändert hat, welche Pläne es für die Zukunft gibt, und wir haben sie gefragt, wie sich die frühe internationale Zusammenarbeit zeigt und welche Projekte besonders erfolgreich waren. Spielfilmprojekte können übrigens bis 30.9. eingereicht werden: www.berlinale-coproductionmarket.de

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Creative Europe Desk Hamburg: 20 Jahre Berlinale Co-Production Market, herzlichen Glückwunsch!  Sie gehören zum Gründungsteam des Berlinale Co-Production Market, wie war das damals, als Sie einen neuen Koproduktionsmarkt ins Leben gerufen haben?

Martina Bleis: Dankesehr J Das war eine aufregende Zeit! Der Berlinale Co-Production Market wurde 2004 ins Leben gerufen, damals von Dieter Kosslick, dem die Vernetzung von Produzenten und das Thema Koproduktionen schon immer sehr am Herzen gelegen hatte. Zuerst waren wir im Grunde zu dritt im Team: Sonja Heinen, die heute Managing Director bei European Film Promotion ist, war die einzige, die schon mal einen Koproduktionsmarkt gemacht hatte. Kathi Bildhauer, die nach wie vor dabei ist und den Talent Project Market leitet, und ich, wir hatten eigentlich keine Ahnung, worum es dabei genau geht... Wir haben vieles von Sonja - und eigentlich alles von der Pike auf - gelernt und dann gemeinsam Stück für Stück weiter entwickelt. Damals hatten wir glaube ich knapp 200 Teilnehmer und der Berlinale Co-Production Market dauerte 2 Tage. Die Meetings haben wir alle von Hand geplant und da ging es ein bisschen drunter und drüber – aber auch da haben sich schon Partner gefunden, die dann die Filme gemeinsam gemacht haben.

Was hat sich seitdem verändert? 

Wir haben glaube ich, im Laufe der Jahre immer besser verstanden, was die Produzent*innen und Finanziers hier suchen und wie wir am besten jeweils die passenden Partner zusammen bringen können. Das macht uns zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten unter den inzwischen doch recht zahlreichen Koproduktionsmärkten auf der Welt. Die Teilnehmerschaft ist auf knapp 600 reguläre Teilnehmer gewachsen, plus etwa 400 Fachbesucher, die zu bestimmten Programmteilen kommen, wie etwa Books at Berlinale, Co-Pro Series, zu den Talk-Veranstaltungen oder zu unserem Visitors-Programm.

Wir haben unser inhaltliches Angebot über die Jahre deutlich erweitert und ausgefeilt – mittlerweile dauert die Veranstaltung 5 Tage. Dabei überlegen wir immer gründlich, welches Programm für wen interessant und was für unsere Klientel sinnvoll ist. Ich glaube, das ist eines unserer Geheimrezepte: nicht die Menge von Veranstaltungen oder Projekten, sondern die Effizienz ist uns am wichtigsten, also dass jeder hier in einem kompaktem Zeitplan genau das findet, was er oder sie braucht, vor allem hinsichtlich der nächsten, neuen Projekte und Partner. Das, was man eigentlich braucht, kann dann auch mal ein*e überraschende*r Koproduzent*in sein - wir beraten unsere Teilnehmer auch, wenn sie z.B. an bestimmte Länder gar nicht dachten für ihre Koproduktion, wir aber gerade dort gute Möglichkeiten sehen. Mittlerweile organisieren wir 1500 Einzelmeetings, und jedes davon ist individuell und gezielt von den Teilnehmern angefragt. Wir checken nach wie vor jedes einzelne Meeting auf sein Potential, das ist Teil unserer persönlichen strategischen Beratung. Bei der zeitlichen Planung der Meetings, die sich als Puzzle mathematisch berechnen lässt, hilft uns hingegen seit langem unsere selbst entwickelte, ausgefeilte Software.

Welche Projekte suchen Sie für die neue Ausgabe 2023? 

Wir suchen allerhand: zunächst einmal ca. 20 Spielfilmprojekte aus aller Welt, die unsere Kriterien erfüllen: sie müssen bestimmte Budgets haben (diesmal für einige Länder niedriger, weil dort die Produktionsrealität einfach anders aussieht und kaum Projekte über 1 Mio Euro gemacht werden), und schon anfinanziert sein.  Und sie müssen von Produzent*innen eingereicht werden, die schon internationale Koproduktionserfahrung haben und wissen, worum es bei den Meetings dann geht.

Budget-Ausnahmen gibt es bei vom World Cinema Fund geförderten Projekten und bei Projekten, deren Regisseur*innen schon einen Film bei der Berlinale hatten. Auch für ukrainische Projekte, die momentan ja kaum Finanzierung mitbringen können, werden wir schauen, wie wir die Kriterien sinnvoll erleichtern können.

Wichtig ist für uns, dass die Projekte, die wir auswählen, noch Koproduzent*innen suchen, denn vor allem für die Produzent*innen sind wir ja der Treffpunkt bei der Berlinale, wo sie ihre neuen Projekte für internationale Koproduktionen anbieten , aber auch auf Herz und Nieren geprüften, tolle Projekte zum Koproduzieren finden können.

Für den Talent Project Market, wo wir gemeinsam mit Berlinale Talents 10 weitere Projekte vorstellen, sind die Kriterien generell offener. Die Produzenten, die sich bis zum 1.9. über Berlinale Talents bewerben können, müssen noch in den ersten zehn Jahren ihrer Karriere sein und schon international gezeigte Filme produziert haben, aber sie benötigen noch keine Koproduktionserfahrung, und die Budgetgrenzen sind nicht festgelegt.

Alle Projekte sollten natürlich eine gewisse internationale Marktperspektive und/oder Festivalpotential bieten, um für unsere Teilnehmer, Produzenten und Finanziers, Weltvertriebe, Förderer, alle Arten von Distributoren und Sendern, interessant zu sein.

Spielfilmprojekte können bis 30.9. eingereicht werden.

 

MEDIA fördert seit 2021 das Co-Development, also explizit die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg bereits in der Entwicklung von Film- und Serienprojekten. Sehen Sie das in den eingereichten Projekten auch, dass bereits früh zusammengearbeitet wird? 

Auf jeden Fall arbeiten Produzenten oft schon früh gemeinsam an Projekten. Ich finde den Gedanken grundsätzlich gut, für gemeinsames Development Förderung bekommen zu können. Das macht vor allem für Produzenten Sinn, die schon einmal zusammen gearbeitet haben und großes Vertrauen in die gemeinsame Entwicklungsarbeit für ihr nächstes gemeinsames Projekt haben.

Allerdings sollte nach meinem Verständnis Entwicklungsförderung in erster Linie Freiräume dafür schaffen, so zu entwickeln, wie es für das jeweilige Projekt sinnvoll ist, ob gemeinsam oder allein. Die finalen Koproduktionsstrukturen entstehen ja – wie bei den meisten unserer Projekte – auch oft erst, wenn das Projekt die richtige Form im Rahmen seiner Entwicklung bereits gefunden hat und man ausloten kann, mit welchen Ländern, bzw. welchen mit welcher Produktionsfirma aus dem betreffenden Land eine Partnerschaft am besten passt.

Für den Berlinale Series Market sind Sie außerdem für die “Co-Pro Series” zuständig. Was genau wird hier gesucht und wie wird der Series und der Co-Pro Market kombiniert? 

Für den Berlinale Series Market haben wir schon seit dem Beginn 2015 unsere Kräfte intern gebündelt und jede Abteilung trägt bei, was sie am besten kann: Co-Pro Series ist ein Teil vom Berlinale Co-Production Market, denn wir können einfach sehr gut Partner vermitteln. Hier werden jedes Jahr 10 Projekte gepitcht, das sind Dramaserien aus aller Welt in der Entwicklungs- und Finanzierungsphase, die spannend sind und internationale Partner suchen. Auch die Serienprojekte haben bei uns gut geplante Einzelmeetings mit interessierten Finanziers und Koproduzenten. Auch das funktioniert super, es gibt mittlerweile schon 20 Serien, und noch einige weitere in der Mache. Neben Babylon Berlin gibt es inzwischen zahlreiche weitere Erfolge, wie Eldorado KaDeWe, Furia, Blackport oder in diesem Jahr neu und ab Oktober auf arte: Trom von den Faröer-Inseln.

Neue Projekte aus aller Welt können für den Berlinale Series Market noch bis zum 15. Oktober eingereicht werden.

 

Und um den Series Market noch kurz kompletter zu erläutern: der EFM organisiert dabei ein Konferenzprogramm und Market Screenings, und Berlinale Talents macht meist eine spannende Veranstaltung mit Serien-Schaffenden, und nimmt seit einigen Jahren auch Serienmacher bei den Talents auf. Berlinale Series und Berlinale Series Market sind natürlich eng verbunden – so bieten wir gemeinsam der Serienbranche und Serienfans ein spannendes Rundum-Paket.'

 

Sie sind außerdem als Mentorin für internationale Fortbildungs- und Koproduktionsinitiativen UND für Connecting Cottbus tätig. Was beobachten Sie aktuell in der Branche, welche Themen sehen Sie und was brauchen die Produzent:innen?

Natürlich gibt es Dauerbrenner-Themen, die Produzenten umtreiben: ‚wie präsentiere ich mein Projekt?’, ‚wie finde ich den passenden Partner in Land X?’, ‚wie erreiche ich mein Publikum?’ Diese Themen sind immer wieder wichtig.

Daneben gibt es aber gegenwärtig oft Grundsatzfragen und ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Bei vielen Menschen gibt es Zweifel an bestehenden Lebens- und Arbeitsentwürfen. Das ist natürlich nicht nur in unserer Branche so, aber schon sehr ausgeprägt. Es fängt mit der physischen Unversehrtheit an, die durch Pandemie und Krieg bedroht ist und umfasst neben der Schwierigkeit, sich den Markt und Filmfinanzierung der Zukunft genau vorstellen zu können, auch die Angst vor dem Klimawandel und oft Zweifel, wie wir als Branche umweltschonend und nachhaltig arbeiten können. Mental Health und Resilienz sind definitiv Themen, zu denen man sich heute mehr austauscht und die zum Glück ernster genommen werden als noch vor wenigen Jahren.

Vor allem gibt es aber, oft auch aus diesen Fragen heraus und insbesondere im Nachwuchsbereich, unglaublich viel Mut, Einfallsreichtum, Engagement und Initiativen zur gegenseitigen Unterstützung. Und nicht zuletzt immer wieder Projekte, die wir so noch nicht gelesen haben und Filme, die wir so noch nicht gesehen haben. Auch deshalb macht die Arbeit bei Koproduktionsmärkten und Trainingsinitiativen so unglaublich viel Freude.

In den vergangenen Jahren gab es sicher auch das ein oder andere Projekt, das nach der Vernetzung bei Euch tolle Erfolge feiern konnte!?

Wir werden ja dieses Jahr 20 und es wäre toll, wenn wir die Gelegenheit und die Zeit finden können, uns über unsere Erfolge zu freuen – aber es geht ja auch schon wieder weiter in eine neue Runde!
Bisher sind über 340 Spielfilmprojekte und je ca. 20 Serien und 20 Literaturverfilmungen aus unseren früheren Projekten entstanden, die international erfolgreich verkauft wurden und zahlreiche Preise gewonnen haben: zuletzt gab es Goldene Bären in 2021 für Bad Luck Banging or Loony Porn und 2022 für Alcarràs,  einen Goldenen Leoparden in Locarno just im August für Rule 34 und den Grand Jury Preis in Cannes letztes Jahr für Compartment No. 6. Auch zwei Oscars hatten wir schon, für Jojo Rabbit und Eine fantastische Frau sowie etliche Nominierungen, und daneben viele Europäische Filmpreise und andere bedeutende internationale Preise – es ist schwer, hier nur einzelne Filme oder Serien hervorzuheben!

Besonders freuen tun wir uns natürlich, wenn wie dieses Jahr eine Filmemacherin wie Carla Simón einen Goldenen Bären gewinnt, die wir schon mit ihrem erfolgreichen Erstlingsfilm Fridas Sommer bei uns im Talent Project Market hatten, und die dann 2019 für Alcarràs beim Berlinale Co-Production Market gemeinsam mit ihrer Produzentin María Zamora den Eurimages Co-Production Development Award gewann. Oder wenn ein Film in die Kinos kommt, den neben uns auch andere Berlinale-Initiativen wie Berlinale Talents und der World Cinema Fund unterstützt haben, wie jetzt gerade Mit 20 wirst Du sterben. Und Filmprojekte wie Quo Vadis, Aida? geben uns eine besondere Motivation und Herausforderung, wenn das Thema unglaublich wichtig, die Finanzierung aber nicht einfach ist.

Glücklicherweise konnten wir beim Berlinale Co-Production Market schon viele Erfolgsgeschichten verbuchen - etliche Projekte haben hier ihre passenden Partner gefunden, da fällt es wie gesagt schwer, einzelne herauszuheben. Mir gefällt es besonders, wenn wir Koproduzenten zusammen bringen, die gar nicht darauf gekommen wären, miteinander zu arbeiten, und dann eine Top-Verbindung eingegangen sind, wie Produzenten von den Philippinen mit Slowenien oder der Schweiz, Großbritannien mit Rumänien oder manchmal auch einfach Frankreich mit Portugal – europäische Produzent*innen machen ja das Gros unserer Klientel aus und sind fast immer an den hier entstehenden Koproduktions-Kombinationen beteiligt. Und wenn wir Verbindungen schaffen können, die dann dauerhaft halten.

Vielen lieben Dank Martina für das ausführliche Interview!

Alle Einreichungen sind möglich unter www.berlinale-coproductionmarket.de