European Film Market - Direktor Dennis Ruh im Interview

  • Dennis Ruh (c) Angela Regenbrecht

Der European Film Market (EFM) der 72. Berlinale muss auch in diesem Jahr aufgrund der Pandemie und des Gesundheitsschutzes wieder online stattfinden. Auch der von Creative Europe MEDIA und der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) geförderte Berlinale Co-Production Market, bei dem vom 12. bis 16. Februar 2022 34 neue internationale Spielfilmprojekte aus 32 Ländern vorgestellt werden, findet als Digitalversion statt. Dennis Ruh, seit 2020 Direktor des EFM, erzählt, wie er mit der Ausnahmesituation umgeht und warum auch ein digitaler Markt viel Spannendes zu bieten hat.

Creative Europe Desks: Der EFM 2022 findet wieder digital statt. Was macht ihn trotzdem spannend? Und lässt sich z.B. beim Berlinale Co-Production Market erkennen, dass die europäischen Filmschaffenden trotz Pandemie aktiv bleiben?
Dennis Ruh: Zum einen natürlich die Line-ups der Weltvertriebe mit brandneuen Filmen. Trotz Pandemie wurde in den letzten Monaten viel entwickelt und produziert. Bei der Berlinale werden wieder mehr Filme präsentiert, entsprechend gibt es auch eine große Filmauswahl in virtuellen Marktvorführungen. Ich beobachte weiterhin, dass die Aussteller sich in punkto digitaler Marktpräsenz professionalisiert haben und spannende digitale Präsentationen anbieten.

Unser Konferenzprogramm, die EFM Industry Sessions, wurde neu strukturiert und unter das Motto SHAPING CHANGE gestellt. Wir nehmen die Herausforderungen der Branche durch die digitale Transformation unter die Lupe. Gleichzeitig rufen wir zur Mitgestaltung auf: Das Programm soll zum Handeln motivieren, stärker vernetzen und Raum für gemeinsame Ideen geben. Dabei stehen Zukunft, Teilhabe und nachhaltige Entwicklung im Fokus.

Als neuer EFM-Chef stehen Sie vor riesigen Herausforderungen. Welche positiven Effekte gibt es?
Die Umstände haben auch beim EFM die Digitalisierung stark beschleunigt. Wir haben innerhalb kürzester Zeit auf ein digitales Angebot umgestellt, das auch in Zukunft unverzichtbar sein wird, auch wenn die physische Begegnung wieder im Fokus steht. Außerdem spüre ich einen starken Zusammenhalt der Festivalszene und eine Aufgeschlossenheit für verstärkte Kooperation, wovon sowohl Veranstalter als auch Teilnehmer profitieren.

Wie gut kann die europäische Filmindustrie in der Pandemie neue Filmprojekte finanzieren? Der Hunger nach „Content“ ist ja geblieben …
Die europäische Filmindustrie ist eine Branche, die ja überwiegend aus kleinen und mittelständischen Produktionsunternehmen besteht. Viele europäische Länder haben Förderungen für diese Unternehmen und die Kulturbranche eingeführt, auch um pandemiebedingte Mehrkosten zu kompensieren, auch auf EU-Ebene wurden solche Maßnahmen ermöglicht. In einigen Ländern wurden die Kino-Auswertungsfenster vorübergehend verkürzt. Beim EFM sehen wir weiterhin eine hohe Zahl an Filmanmeldungen. Nichtsdestotrotz beobachten wir eine Tendenz von Zusammenschlüssen, Diversifizierung und Konsolidierungen, um finanzielle Risiken stemmen zu können und auf breitere Schultern zu verteilen. Wir werden der Frage nach nachhaltigen Geschäftsstrategien und der Rolle von Intellectual Property in dem sich verändernden Markt für neuen Content und bei transformierten Wertschöpfungsketten in unserem Konferenzprogramm, den EFM Industry Sessions, nachgehen.

Welchen Stellenwert haben Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit beim EFM?
Teilhabe und Nachhaltigkeit sind Themen gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Unsere Verantwortung als Filmmarkt sehen wir darin, die Themen bei marktrelevanten Aspekten mitzudenken. Beide Themen betreffen ja auch ganz konkret unsere Teilnehmenden in ihrer Tätigkeit und ihrer Teilnahme beim EFM. Im Bereich Diversität und Inklusion haben wir einen Verhaltenskodex und eine Antidiskriminierungserklärung eingeführt, der sowohl bei einer online als auch physischen Teilnahme am EFM in den kommenden Jahren Geltung findet. 2020 haben wir unser „Sustainability Manifesto“ aufgesetzt, um eigene Ziele im Bereich Nachhaltigkeit festzulegen. Hier evaluieren wir fortlaufend, welche Ziele wir schon erreicht haben und welche zukünftigen wir uns stecken können.

Darüber hinaus setzen wir auch in unserem Konferenzprogramm, Impulse zum aktiven Handeln in all diesen Bereichen. Beispiele hierfür sind, neben einer Veranstaltung zu grüner Filmproduktion und nachhaltiger Auswertung, unter anderem das in diesem Jahr erweiterte Toolbox Programm, welches Produzent*innen von Langspielfilmen aus marginalisierten Gruppen und dem Globalen Süden beim Marktzugang unterstützt. Dieses wurde nun auch für fiktionale Stoffe geöffnet.

Auch haben wir eine groß angelegten Market Badge-Inklusions-Initiative initiiert, die die Vergabe von 500 EFM Online Market Badges an Filmfachleute aus marginalisierten Gruppen weltweit ermöglicht. Es ist das allererste Mal, dass eine Initiative dieser Art in Europa umgesetzt wird.

Wie sehen Sie generell die Zukunft des EFM in den nächsten zehn Jahren? Was muss sich verändern, was ist gut so?
Der EFM ist Teil des filmwirtschaftlichen Systems und hängt natürlich stark an den Entwicklungen der Auswertungsformen. Ich bin überzeugt, dass er seine Rolle als erster Filmmarkt des Jahres und einer der wichtigsten Filmmärkte weltweit halten kann. Die Branche braucht einfach den persönlichen Austausch und den Treffpunkt. Das Filmbusiness bleibt ein People‘s Business, und die Rückkehr zu physischen Messen und Festivals konnten wir auch in den Sommer- und Herbstmonaten 2021 beobachten, in denen sich die Teilnehmerzahlen fast wieder auf Vorpandemieniveau bewegten. Mittelfristig werden die Dimensionen klassischer Filmmärkte und Contentmärkte aber auch die Marktentwicklungen des Rechtehandels widerspiegeln. Das bleibt also spannend.

Wir werden in unserem Konferenzprogramm in diesem Jahr auch die Frage nach den Veränderungen der Auswertungskanäle und -strategien beleuchten. Momentan hat die Pandemie noch starken Einfluss auf das Geschäft mit Filmrechten, da der Auswertungsstau noch nicht abgebaut ist und es lässt sich beobachten, dass einige Zuschauergruppen noch zögerlich sind, Kinos zu besuchen. Ich bin zuversichtlich, dass sich bestimmte Phänomene mit Ende der Pandemie auflösen werden, andere könnten bleiben und die Zukunft der Filmauswertung dauerhaft beeinflussen. Wir schaffen für die Diskussion eine Plattform und werden natürlich auch zukünftig unsere Angebote an den Bedürfnissen der Branche ausrichten.

Der European Film Market findet vom 10. bis 17. Februar 2022 online statt: https://www.efm-berlinale.de/en/home/homepage.html