"Mit Filmen Brücken bauen"

30 Jahre Kinder- und Jugendfilmfestival SCHLiNGEL – Michael Harbauer im Interview, 27.9. bis 4.10. in Chemnitz

  • viele Menschen auf einer Bühne. eine Kinoleinwand im Hintergrund.

    Schlingel 2024 - Preisverleihung © FF SCHLiNGEL

  • Sechs Kinder stehen vor einer Sponsorenwand.

    Schlingel 2024 - Kinderjury © FF SCHLiNGEL

Wie man älter wird – und trotzdem mit ganzem Herzen für die Jungen da ist: Das beweist seit bald 30 Jahren eindrucksvoll das SCHLiNGEL Filmfestival für Kinder und junges Publikum in Chemnitz. Die 30. Ausgabe eines der wichtigsten Filmfestivals im Osten Deutschlands findet vom 27. September bis 4. Oktober 2025 in Europas aktueller Kulturhauptstadt statt. Herzliche Glückwünsche von Creative Europe MEDIA! 

Zu diesem Anlass haben wir mit Michael Harbauer, Festivalleiter und Geschäftsführer des Internationalen Filmfestivals für Kinder und junge Publikum SCHLiNGEL, gesprochen.

Das MEDIA Programm gehört seit 29 Jahren zu den Förderern des Festivals. Und der Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg engagiert sich seit vielen Jahren bei der Fachveranstaltung „ComingSoon“. Hierbei werden dem Fachpublikum potenzielle Kinderfilm-Hits aus Deutschland und Europa vorgestellt, die von Gästen präsentiert werden. „ComingSoon“ findet am 29. September im Rahmen des SCHLINGEL Industry Forums statt.
Mehr zu „ComingSoon“ und ein Interview mit Programmleiterin Franziska Winter hier.

Aus Anlass der 30. Festivalausgabe haben wir mit Michael Harbauer gesprochen. Er ist Festivalleiter und Geschäftsführer des Internationalen Filmfestivals für Kinder und junge Publikum SCHLiNGEL.

Michael Harbauer © FF SCHLiNGEL

„Mit Filmen Brücken bauen können – zwischen Menschen, Kulturen und Ländern“
Interview von Nikola Mirza

Creative Europe Desk Berlin-Brandenburg: 30 Jahre Schlingel – Herzlichen Glückwunsch! Wie ist die Festivalidee entstanden?

Michael Harbauer: In den Jahren vor der Festivalgründung war ich für den Landesfilmdienst Sachsen aktiv, mit dem wir mobile Filmveranstaltungen u.a. in Kindergärten oder Schulen durchgeführt haben. Dabei wurde deutlich, dass junge Menschen durchaus den Bedarf haben, gemeinsam im Verbund Filme zu schauen. Jedoch gab es 1995 mit dem Metropol nur noch eine einzige Kinoleinwand in Chemnitz – einer Stadt mit damals 300.000 Einwohnern – deren Fokus zudem nicht auf Kinderfilmen lag. Deshalb haben wir in einem ehemaligen Kulturhaus gebrauchte Filmprojektoren installiert und gemeinsam mit den Gründern der Chemnitzer Filmwerkstatt Filmveranstaltungen durchgeführt – auf einer 11,50 Meter breiten Leinwand und damit größer als die des einzig verbliebenen Kinos. Die erste – damals noch – Chemnitzer Kinderfilmschau „Schlingel“ im Jahr 1996 erreichte gleich 700 Besucher.

Was macht das Festival so besonders?

Unser Festival ist eine Bühne für internationale Filme, die sonst zumeist nicht in den deutschen Kinos zu sehen sind. Damit liefern wir ein plurales Filmangebot und so mehr oder weniger ein Gegenstück zur deutschen Kinolandschaft. SCHLiNGEL ermöglicht jungen Menschen, direkt im Kino ihren eigenen Horizont zu erweitern sowie ferne Länder und fremde Kulturen kennenzulernen. Getoppt wird dieses Erlebnis durch den Austausch mit Filmschaffenden auf Augenhöhe.

Welche film- und medienpädagogischen Angebote gibt es?

Traditionell ist jeder Film in ein moderiertes Gespräch eingebettet oder in eine Aktion, die rund um den Film gestaltet wird. Dadurch erhält das Publikum immer die Möglichkeit, über das Gesehene zu diskutieren, es zu hinterfragen und sich im Gespräch eine eigene Meinung zu bilden. Komplettiert wird dieses Angebot durch pädagogische Handreichungen für Lehrkräfte. Dieser „Werkzeugkasten“ zeigt, wie die Filme in den Unterricht eingebunden und die Inhalte noch einmal intensiver besprochen werden können. Medienpädagogische Workshops bieten wir während des Festivals ebenso an.

Inwiefern hat sich das Festivalpublikum in den letzten 30 Jahren verändert?

SCHLiNGEL richtet sich mit seinem Programm größtenteils an Kinder und Jugendliche. Dadurch hat sich unser Publikum in den vergangenen 30 Jahren bereits mehrmals erneuert. Dennoch sind uns viele Besucherinnen und Besucher, die unser Festival aus ihrer eigenen Kindheit kennen, treu geblieben und kommen immer noch vorbei, teils auch mit ihren eigenen Kindern. Eine solch langjährige Bindung ist jedoch bei einem Filmfestival, dessen Programm wie bei der Berlinale vorwiegend auf Erwachsene ausgelegt ist, sicher häufiger ausgeprägt. Das ist auch gut so, denn wir verstehen es als unsere Mission, immer wieder neue Generationen an das Festival heranzuführen und diese für das gemeinsame Filmerlebnis im Kino zu begeistern.

Wie wichtig sind die europäischen und internationalen Filme für das Programm?

Das SCHLiNGEL-Programm besteht aus zwei Säulen: Zum einen deutschsprachige Filme und zum anderen europäische sowie internationale Produktionen, die damit essenzieller Bestandteil des Programms sind und wesentlich zur Vielfalt des Festivals beitragen. Die Filme werden nicht nur mit deutschen Untertiteln oder mit deutscher Einsprache gezeigt, sondern ebenfalls mit englischen Untertiteln. Dadurch können nicht nur fremdsprachige Produktionen von einem breiten Publikum verstanden, sondern auch vom Fachpublikum für das eigene Programm entdeckt werden. Wenn wir im Anschluss an den SCHLiNGEL deutsche Filme ins Ausland begleiten, bringen wir zumeist mindestens einen Film für unser Programm mit. Dadurch erhält die deutsche Kultur im Ausland eine Bühne und internationale sowie europäische Produktionen mit ihren länderspezifischen Einblicken eine Leinwand beim SCHLiNGEL in Chemnitz. Es ist immer ein Geben und Nehmen – der konstante Austausch innerhalb Europas und der Welt spielt bei der Programmfindung eine entscheidende Rolle.

Welche Qualitäten zeichnen aus Ihrer Sicht die zeitgenössischen Kinder- und Jugendfilme Europas aus?

Gute Filme für Kinder und Jugendliche müssen sich in ihrer Ansprache ernsthaft auf das junge Publikum beziehen und die Themen aufgreifen, die für die junge Generation in ihrem Lebensumfeld von Bedeutung sind. Gute Filme sind somit auch immer kleine, interessante Ratgeber fürs eigene Leben. Es braucht u. a. glaubhafte Charaktere, mit denen die Kinder und Jugendlichen mitfühlen können, Protagonisten mit Vorbildfunktion und eine Kamera auf Augenhöhe der Kinder. Durch einen guten Kinder- oder Jugendfilm sollten sich junge Menschen mit ihren Problemen und Wünschen, Ängsten und Freuden ernstgenommen und gesehen fühlen.

Creative Europe MEDIA unterstützt das Festival seit langem. Warum ist diese Förderung wichtig?

Für diese langjährige Förderung sind wir sehr dankbar. Durch diese ist SCHLiNGEL auf europäischer Ebene nicht nur besser sichtbar, sondern sie ist auch entscheidend daran beteiligt, das Festivalprogramm in dieser Form überhaupt erst zu ermöglichen. Die Förderung trägt somit aktiv zur Zirkulation europäischer Filme im Festivalkontext bei. Wir begleiten insbesondere europäische Filme nach einem erfolgreichen – vielleicht sogar prämierten – Auftritt beim Festival auf dem Weg ins deutsche Kino und / oder TV. Weiterhin unterstützt Creative Europe MEDIA uns dabei, mit Veranstaltungsformaten wie dem „ComingSoon“ Filmen eine Plattform zu bieten, die sich auf der Zielgeraden aber noch nicht im Kino befinden.

Was bedeutet das Festival für die Stadt und die Region?

Das SCHLiNGEL Filmfestival ist das einzige Spielfilmfestival in Sachsen. In den vergangenen 30 Jahren ist es zu einem festen Bestandteil im Veranstaltungskalender der Stadt Chemnitz und der Region geworden. Rund zehn Prozent der Chemnitzer Bevölkerung besuchen jedes Jahr das Festival. Dieser Rückhalt in der Gesellschaft freut uns natürlich sehr. Durch die internationalen Gäste, die SCHLiNGEL besuchen, wird zudem die Verbindung zwischen der Stadt und der Welt gestärkt.

Gibt es Erinnerungen und Festivalmomente, die Sie besonders bewegt haben?

In 30 Jahren sind viele Momente zusammengekommen, an die ich gern zurückdenke. Beispielhaft möchte ich einen aus dem vergangenen Jahr herausgreifen. Wir hatten einen kasachischen Film im Programm, der in russischer Sprachfassung zu sehen war. Im Kinosaal schauten Ukrainer und Menschen mit russischer Abstammung den Film gemeinsam und kamen im Nachgang ganz selbstverständlich miteinander ins Gespräch. Das war wirklich bewegend und hat gezeigt, dass wir mit Filmen Brücken bauen können – zwischen Menschen, Kulturen und Ländern.

Vor welchen Herausforderungen steht das Festival in den kommenden Jahren?

Auch wir bleiben von den alltäglichen Problemen der Festival- und Kulturbranche nicht verschont, seien diese nun finanziell oder strukturell. Es ist sichtbar, dass Serienformate und generell kürzere Formate immer populärer und einzeln stehende Spielfilme immer weniger werden. Streamingdienste und die Digitalisierung tragen ihren Teil dazu bei. Diesem Trend versuchen wir entgegenzuwirken. Andererseits wird bei der Masse an Produktionen auch der Wert von Filmfestivals deutlich. Sie kuratieren Programme mit guten Filmen bzw. Angeboten im audiovisuellen Bereich. Bei der Vielzahl an Filmen wird Zuschauern durch die Zusammenstellung der Festivalprogramme auf einfache Art und Weise Pluralität ermöglicht. Das Vertrauen, das uns als Festival dabei entgegengebracht wird, gilt es auch in Zukunft immer wieder aufs Neue zu bestätigen.

Mehr Informationen zum Programm und Gästen in Kürze unter www.ff-schlingel.de.