In der anderthalbstündigen Masterclass, veranstaltet von Creative Europe Desk Hamburg und der FFHSH, ging es um die Grundpfeiler des seriellen Erzählens, um die Serienentwicklung in Europa, um die Bedeutung des Writers' Room und vieles mehr.
Die große Revolution auf dem Serienmarkt habe die Messlatte in punkto Qualität auch für Europa deutlich angehoben, so Lusuardi. "Wir können jetzt Dinge denken und schreiben, die noch vor ein paar Jahren auf dem lokalen Markt undenkbar waren. Dies ist eine großartige Gelegenheit". Viele Menschen schauen zurzeit weltweit dieselben Serien an, aber die Sorge über einen daraus resultierenden kulturellen Identitätsverlust teilt Lusuardi nicht: "Ich verstehe die Angst, aber tatsächlich passiert genau das Gegenteil. Heute hat jede*r die Möglichkeit, Serien zu schauen, die aus sehr unterschiedlichen Ländern kommen. Europa muss mehr teilen, was das Erzählen von Geschichten, Emotionen und Identitätsgefühlen betrifft. Die kollektive Identität einer großen Gemeinschaft entsteht ja durch das Teilen von Geschichten. Think glocal!"
Die Vielfalts-Challenge
Eine große Herausforderung für alle Akteure bestünde laut Lusuardi darin, dass sie einem stetig wachsenden Publikum die Vielfalt der Welt vermitteln müssten, denn dies sei etwas, das uns kulturell sehr reich mache. Überall gäbe es nun internationale Abteilungen auf der Suche nach Inhalten, Ideen und Stimmen. "Vor 10 Jahren beispielsweise hat man vielleicht für ein Publikum von 1 Millarde Menschen produziert - USA plus Kanada plus Europa plus etwas mehr - durch die neuen digitalen Verbreitungswege kommt man leicht auf 5 Milliarden Menschen, für die neue Ideen und Inhalte passen müssen". Auch deshalb sei die Zahl der internationalen Koproduktionen, besonders transatlantischer, deutlich gestiegen.
4 Dinge, die man in der Serienproduktion nie vergessen darf:
1. Eine Serie ist kein Film, jedes Kapitel hat seine eigene Identität. Die Serie wurzelt auf dem Prinzip der Variation.
2. Serien-Dramaturgie hat immer etwas Großes zum Inhalt, etwas sehr Wichtiges, zumindest aus der menschlichen Perspektive
3. Zweifellos und ausnahmslos: Dramaturgie ist das Erzählen von Geschichten durch Konflikt.
4. Jeder ist auf der Suche nach Zahlen. Wir müssen unser Bestes tun, um unser Publikum zu bekommen, auch, wenn es nur ein kleines ist.
Was macht eine Serienfigur aus?
"Während im Film die Charaktere zu 99% zu einem Bogen tendieren, mit Anfang und Ende", so Lusuardi, "wechselt man in der Serie zu einem Muster, bei dem das Ende nicht das Wichtigste ist ... ganz im Gegenteil, es wird mit allen Mitteln verhindert, dass es endet. Der Zuschauer muss wollen, dass es niemals endet - denn dann wäre die Geschichte fertig erzählt. Jede große Serienfigur beruht auf einem großen unlösbaren Konflikt."
Man müsse den Serienfiguren nicht zwangsläufig zustimmen, aber man müsse sie emotional verstehen, wie zum Beispiel Walter White, Dexter oder Tony Soprano.
Auch Nebenfiguren seien wesentlich wichtiger als in der Vergangenheit, gälten sie doch als Quelle zahlreicher Konflikte.
Notes from the Writers' Room
"Ein Writers' Room funktioniert deshalb so gut, weil man einen starken Headwriter hat, der alle Vorteile des Teams um ihn herum zu nutzen weiß", sagt Nicola Lusuardi. Das Problem seien meist die Kosten - die Autoren würden dafür bezahlt, dass sie dort sind, und das für viele Monate. Eine weitere Herausforderung könne das Ego sein, wenn sich die Autoren nicht als Teil des Teams verstünden. Damit habe allerdings die ältere Generation der Autoren deutlich mehr Schwierigkeiten als die Jüngeren.
Die richtige Zusammensetzung für den Writer's Room zu finden, sei wie ein gutes Casting. Man braucht jemanden, der ständig alles in Frage stellt. Ein anderer muss wirklich emotional sein. Der Dritte hält die Dinge in Ordnung. Der Nächste ist von Struktur besessen, und so weiter.
In der letzten halben Stunde der Masterclass wurden die relevantesten Fragen aus dem Publikum ermittelt und an Lusuardi gestellt. Darin ging es unter anderem um Lusuardis aufwendige Herstellung von Karten, um an Serien zu arbeiten, seine liebsten europäischen Serien aus dem Vorjahr sowie den idealen Pitch. Zum Abschied zählt Lusuardi drei Fragen auf, die jeder*r bei der Entwicklung von Qualitätsserien berücksichtigen sollte:
1. Was ist wirklich neu an der Idee der Serie? Welche Charakteristika machen die Serie besonders und unverwechselbar?
2. Worin liegt der Ursprung des Konflikts, der die Serie, die Erzählung und ihre Charaktere antreibt?
3. Was ist das eigentliche Thema der Serie? Was wird im großen Rahmen erzählt?
Die Masterclass ist online verfügbar auf YouTube
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