Jede Krise kann Chancen, neues Verantwortungsbewusstsein und gute Veränderungen mit sich bringen. Auch die Tatsache, dass die Film- und Kulturbranche samt einem großen Teil ihrer kreativen Akteur:innen durch die Pandemie, den Krieg Russlands, die Energiekrise und die Inflation vor Existenzsorgen stehen, bleibt beunruhigend. Und dennoch: Die Fortsetzung des Dialogs über Nachhaltigkeit und letztlich mehr und mehr nachhaltiges Handeln sind Teil der Lösung und eine zentrale Grundlage, um Leben und Arbeiten in der Gesellschaft wieder zu stabilisieren – und damit auch die Arbeit der weltweit vernetzten und agierenden Kultur- und Filmszene.
Aber: Es ist auch Zeit zum Feiern – und Zeit für einen sozialen wie kooperativen Austausch, so geschehen bei den 35. European Film Awards im vergangenen Dezember in Island – und bei den kommenden Festivals, Märkten und Preisverleihungen des Jahres 2023, angefangen bei der Berlinale im Februar bis hin zur Verleihung des Deutschen Filmpreises am 12. Mai oder den First Steps Awards im Herbst. Auch hier zeigt ein Blick auf die Filmbranche, dass die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre hin zu mehr sozialer Nachhaltigkeit und Diversität nicht nur in den Besetzungen oder Drehbüchern, sondern auch in den Institutionen und bei Veranstaltern erste Wirkungen zeigen.
Und wer sich die Veränderungsprozesse in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit genauer ansieht, kann eine stetige Transformation der Branche erkennen. Begriffe wie „Green Shooting“ oder „Green Production“ etablieren sich, neue Berufe wie die „Green Consultants“ sind entstanden, die Kinos und Produktionen werden ökologischer und Filmhochschulen integrieren „Green Producing“ zunehmend in die Lehre. Es gibt freiwillige Selbstverpflichtungen zum „Grünen Drehen“, einen „Grünen Filmpass“ oder Ökologische Standards und das Label „green motion“, entwickelt vom Arbeitskreis „Green Shooting“. Die im Februar 2023 von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth, verkündeten finalen Ökologischen Standards sollen spätestens ab dem 1. Juli 2023 bundesweit für alle in Deutschland öffentlich geförderten Kino-, TV- und Online-/VoD-Produktionen gelten. Zugleich vermitteln Studien, inwieweit die praktische Umsetzung des „Grünen Drehens“ im Produktionsalltag gut oder auch weniger gut funktioniert. All diese positiven wie notwendigen Prozesse basieren auf der Vorarbeit einzelner Pionier:innen, engagierter Film Commissions oder regionaler Filmförderinstitutionen. Sie alle haben früh die Notwendigkeit erkannt, dass sich auch die Film- und Fernsehbrache auf eine ökologischere Arbeits- und Förderweise umstellen muss. Nicht zu vergessen sind große Player, die ihre Unternehmen früh ökologisch umgebaut haben wie die Bavaria und UFA, aber auch TV-Sender, Filmhochschulen, Filmfestivals, Märkte und Veranstaltungen.
Blick nach Deutschland und Europa
Ob in Berlin, Cannes, Venedig oder Locarno: Auch bei den großen europäischen Filmfestivals steht Nachhaltigkeit mittlerweile hoch oben auf der Agenda – und ist in jedem Website-Menü zu finden. Dazu kommen die Märkte und Veranstalter:innen von Events wie Preisverleihungen, die ebenfalls erkannt haben, dass eine schrittweise Umstellung auf eine ökologischere Produktion und Durchführung wichtig, sinnvoll – und machbar ist. Dabei spielen zukünftig auch Nachhaltigkeits-Zertifikate eine Rolle, mit denen die Veranstalter*innen ihre Events und/oder Institution als offiziell nachhaltig ausweisen können. Wie sieht es aus beim Thema der ökologischen Nachhaltigkeit bei den deutschen Playern aus den Bereichen Festivals, Märkte und Veranstaltungen? Die Berlinale und der angeschlossene European Film Market (EFM) haben bereits früh Schritte unternommen hin zu mehr sozialer und ökologsicher Nachhaltigkeit. Als Orientierungspunkte dienten dem Festival, ebenso wie Locarno, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals/SDGs) der Vereinten Nationen. Seit der erstmaligen Ermittlung des CO2-Fußabdrucks im Jahr 2010 hat das A-Festival Berlinale sowohl als Institution selbst als auch bei seinen Veranstaltungen seine ökologischen Maßnahmen mehr und mehr verstärkt. Seit 2013 ist das Festival mit dem EMAS-Umweltmanagement-Gütesiegel der EU zertifiziert. Und der EFM der Berlinale legt in einem „Sustainability Manifesto“ fest, welche Regeln er in Punkto Umweltfreundlichkeit einhält: Der EFM möchte „seine Verantwortung für die Umwelt wahrnehmen und die unnötige Entstehung von Abfällen bekämpfen, mit Energie und Ressourcen sorgsam umgehen, Strategien zur Reduzierung, Wiederverwendung und zum Recycling von Ressourcen entwickeln, zu einem gesunden und nachhaltigen Arbeitsklima beitragen und bei Team und Besuchern das Bewusstsein schaffen, dass sie Teil eines grüneren EFM sind.“ Auch andere, kleine europäische Traditionsfestivals wie Rotterdam oder Edinburgh sind hier aktiv und haben Veränderungsprozesse angestoßen hin zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit. Sie erstellen Selbstverpflichtungen für zentrale Maßnahmen, messen den CO2-Fussabdruck, erstellen Reports, bestimmen Nachhaltigkeitsbeauftragte und gründen AGs für Nachhaltigkeit.
Für mehr Nachhaltigkeit setzt sich auch die European Film Academy (EFA) in Berlin ein. Die 35. Preisverleihung der European Film Awards im Dezember 2022 im isländischen Reykjavík fand laut der EFA „in einer nachhaltigen Veranstaltungsinfrastruktur statt, die die besten Praktiken in Bezug auf Ressourcennutzung, Abfallmanagement, Transport und Catering für Großveranstaltungen berücksichtigt.“ Und gemeinsam mit Connect4Climate zeichnete die European Film Academy in Island die Europäische Kommission für ihr Programm „European Green Deal“ mit dem neu initiierten „European Sustainability Award – Prix Film4Climate“ aus. „Das Ziel des Europäischen Nachhaltigkeitspreises ist es, nicht nur Filme zu prämieren, die nach den gängigen Nachhaltigkeitsstandards produziert worden sind, sondern die Filmbranche dazu anzuregen, ihre einflussreiche Rolle dafür zu nutzen, nachhaltige Ansätze in der Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt umzusetzen, die eine Auswirkung auf das Leben jedes Einzelnen besitzen“, so die Journalistin Birgit Heidsiek auf greenfilmshooting.net. Die Europäische Kommission nahm 2019 den Kampf gegen den Klimawandel auf und kündigte mit dem sogenannten „European Green Deal“ an, dass Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden solle. Entsprechend wird das Thema der ökologischen Nachhaltigkeit peu à peu auch in Gesetzen, Richtlinien und Fördervorgaben verankert werden.
Auch in den Aufrufen von Creative Europe MEDIA wird Nachhaltigkeit schrittweise Teil der Förderbedingungen, auch für Veranstalter:innen. Wie aber lässt sich eine Veranstaltung zertifizieren?
Von EMAS bis ISO
Als Standardsysteme für eine Zertifizierung haben sich mittlerweile EMAS und ISO 14011 etabliert. Dazu gesellt sich mit ISO 20121 aber auch ein freiwilliger internationaler Standard für nachhaltiges Veranstaltungsmanagement, entwickelt von der Internationalen Organisation für Normung. Welche Zertifizierung aber könnte nun die passende für Organisationen sein, die Festivals, Märkte oder Preisverleihung durchführen?
Die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH, zu denen auch die Berlinale zählt, arbeiten für ihr Umweltmanagement seit 2013 nach EMAS, dem Eco-Management and Audit Scheme. EMAS ist nicht primär auf Veranstaltungen zugeschnitten. Als betriebsökologisches Konzept richtet es sich zuerst an Institutionen. „Das Eco-Management and Audit Scheme – kurz EMAS – ist das weltweit anspruchsvollste System für Umweltmanagement und Umweltleistung. Erfüllen Organisationen die hohen Anforderungen der europäischen EMAS-Verordnung, werden sie mit dem EMAS-Logo ausgezeichnet und im EMAS-Register eingetragen. Die Teilnahme ist für Unternehmen und Organisationen aller Branchen und Größen offen. Auch Veranstaltungen können das EMAS-Logo tragen, Bsp. UN-Klimakonferenz.“ (Quelle: EMAS). Auch die Bundesgartenschau oder der Marathon Berlin arbeiten mit EMAS.
Der im Juli 2022 vorgestellte „Leitfaden Green Culture“ für Kultureinrichtungen des Landes Baden-Württemberg erläutert im Kapitel „Zertifizierungssysteme zur Einführung eines Umweltmanagementsystems“, was für EMAS spricht und was für andere Systeme wie ISO 14001.
Für EMAS spricht: „Die zertifizierte Einrichtung wird in das öffentliche europäische EMAS-Register aufgenommen. Eine EMAS-Zertifizierung erfordert eine öffentliche, detaillierte Umwelterklärung mit allen konkreten Maßnahmen und Daten. Die Umwelterklärung als ein zentrales Kommunikationstool stärkt die Glaubwürdigkeit des Unternehmens gegenüber Mitarbeiter:innen, Besucher:innen, Lieferant:innen und der Öffentlichkeit. Die EMAS-Zertifizierung basiert auf einem staatlich beaufsichtigten Prüfsystem durch Umweltgutachter:innen.“
Für ISO, hier ISO 14001, spricht: „Die Norm bietet hohe Freiheitsgrade. Die Einrichtung kann Umweltziele selbst definieren. Es besteht die Möglichkeit, neben dem Umweltmanagement auch weitere Managementsysteme, etwa für die Bereiche Qualität, Energie oder Arbeitsschutz, einzuführen und diese zertifizieren zu lassen. Die Norm ist weltweit anerkannt.“
Auf die Frage des CCB Magazins von Creative City Berlin, ob von EMAS abzuraten wäre, weil es für viele Kulturschaffende nicht in Frage käme, da es zu sperrig und aufwändig sei, antwortete Christoph Hügelmeyer, Technischer Direktor der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB): „Abraten würde ich keinem. EMAS ist natürlich nicht primär auf Veranstaltungen zugeschnitten, das stimmt. Es ist ein betriebsökologisches Konzept und richtet sich an Institutionen. Dass es aber zu groß und sperrig für Kulturinstitutionen ist, kann ich nur teilweise bestätigen. Das Verfahren ist zwar etwas aufwändiger als beispielsweise das Umweltmanagementsystem ISO 14001, da es bei EMAS zusätzlich um eine umfassende Umwelterklärung geht, die veröffentlicht werden muss. Es basiert jedoch auf der ISO 14001. EMAS bietet damit gerade für Kulturinstitutionen eine große Flexibilität in der Ausgestaltung. Auch die Darstellung von Veranstaltungen wäre grundsätzlich möglich, bedarf aber einer genaueren Anpassung. Für eine solche Anpassung stellt sich die Frage, was mit einer Zertifizierung erreicht werden soll: Welche Bereiche möchte ich betrachten und worauf liegt mein Fokus? Wo habe ich den größten Handlungsbedarf und welches sind die größten Emissionstreiber? Auf Basis dieser Antworten kann ein sehr individuelles System auf die eigene Kultureinrichtung zugeschnitten werden.“
-------------------------------------------------------------------------
Klares Signal: Deutscher Filmpreis ist ISO-zertifiziert
Ein Interview mit Fenja Gewitsch
Ein anschauliches wie praktisches Beispiel zum Abschluss macht ein Interview deutlich, das zeigt, wie die Arbeit mit einer Veranstaltungszertifizierung umsetzbar ist. Das Gespräch haben wir Ende 2022 mit Fenja Gewitsch geführt. Sie war Green Production Manager bei der Deutschen Filmakademie Produktion GmbH und dort zuständig für eine nachhaltige Durchführung des Deutschen Filmpreises, der seit 2021 ISO-zertifiziert ist. Im Januar 2023 hat Juliane Kranz die Position der Green Production Managerin übernommen. Im Dezember 2022 erhielt die Deutsche Filmakademie Produktion GmbH auch die angestrebte Systemzertifizierung nach ISO 20121 für Nachhaltiges Eventmanagement. Und auch der First Steps Award war 2022 erstmalig nachhaltig ISO-zertifiziert.
Creative Europe Desk: Was gab den finalen Ausschlag, die Verleihung des Deutsches Filmpreises nachhaltig durchzuführen?
Fenja Gewitsch: Mit steigendem Druck der Klimakrise und ihren spürbaren Auswirkungen wollten wir ein Zeichen der Zeit setzen. Wie bislang sollte es nicht weiter gehen, denn gerade Events sind so oft Ursache für große Abfallmengen und einen erheblichen Ressourcenverbrauch. Mit einer nachhaltigen Preisverleihung wollten wir das ändern und durch unsere Reichweite zeigen, dass nachhaltig produzieren und veranstalten möglich ist! Wenn wir als Veranstalterinnen des Deutschen Filmpreises nachhaltig handeln, können wir Vorreiter für andere Unternehmen der Branche sein und unsere Ideen multiplizieren.
Zudem wollten wir im täglichen Job umsetzen, was wir auch privat vielmals schon leben.
Warum hat sich die Deutsche Filmakademie Produktion GmbH dafür entschieden, die Veranstaltung zertifizieren zu lassen?
FG: Die Entscheidung für die international anerkannte ISO-Zertifizierung war ein klares Signal, dass wir kein „Greenwashing“ betreiben, sondern dass wir ernsthaft und nachvollziehbar nachhaltige Maßnahmen umsetzen.
Warum wurde die Norm, ISO 20121, gewählt und z.B. nicht eine EMAS-Zertifizierung?
FG: Weil es uns darum ging nicht nur die Veranstaltungen, sondern auch uns als Produktion zertifizieren zu lassen, sprich auch das komplette System hinter der Organisation mit in die Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen einzubeziehen. Um die systemische Zertifizierung des Geschäftsbetriebs zu bekommen, müssen wir drei nachhaltige Events vorzeigen. Mit Abschluss von FIRST STEPS 2022, werden wir die drei Events haben. Vorausgesetzt wir führen unsere Maßnahmen wie geplant durch, freuen wir uns dann bis zum Ende 2022 die ISO-Zertifizierung der Deutschen Filmakademie Produktion GmbH zu erlangen.
Was musste die Deutsche Filmakademie Produktion GmbH für ISO 20121 tun, welche Hilfe kam von außen?
FG: Wir mussten ein nachhaltiges Managementsystem einführen, welches sich an den Kriterien der ISO-Norm orientiert. Dazu gehört zum einen das Planen, Durchführen und Evaluieren eigener Maßnahmen, welche Ressourcen schonen und die Umwelt schützen. Zum anderen bedeutet es auch die Aufklärung und Weiterbildung aller Mitarbeiter:innen und die aktive Einbeziehung von Partner:innen des Deutschen Filmpreises in die nachhaltige Umorientierung. Wir haben uns viel neues Wissen angeeignet, die Stelle der Green Production Managerin geschaffen und regelmäßige Nachhaltigkeits-Jour Fixe eingeführt. Außerdem wurde sowohl der Filmpreis 2021 als auch 2022 klimaneutral durchgeführt. Hilfe von außen haben wir durch die Beratungsfirma 2bdifferent bekommen, sowie durch Workshop und Netzwerkveranstaltungen zum Thema Nachhaltigkeit in Unternehmen, insbesondere der Kulturbranche.
Wie und von wem wird die Einhaltung von ISO 20121 kontrolliert?
FG: Die Zertifizierungsgesellschaft GUTcert kontrolliert und zertifiziert unser nachhaltiges Managementsystem nach der weltweit anerkannten ISO-Norm 20121 für nachhaltiges Veranstaltungsmanagement der Internationalen Standardorganisation (ISO).
Welchen Stellenwert spielt das Thema Nachhaltigkeit unter den Mitgliedern der Akademie?
FG: Der Stellenwert Nachhaltigkeit wächst stetig und Nachfragen zum Thema bekommen wir immer häufiger. Unter den Mitgliedern haben wir außerdem unsere drei sehr aktiven Nachhaltigkeitsbotschafter:innen, die uns bei der Kommunikation unserer Maßnahmen unterstützen und die auch selber viel für Nachhaltigkeit in der Filmbranche tun.
Animiert eine nachhaltigere Preisverleihung die Mitglieder auch zu nachhaltigerem Produzieren?
FG: Das wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Nach ersten Gesprächen können wir aber ein großes Interesse für das Thema erkennen. Das Gefühl, etwas muss getan werden, ist präsent und ein reger Austausch findet statt. Viele sind der Meinung, dass Nachhaltigkeit bereits ein überfälliges Thema im Produktionsalltag ist. Daher begrüßen wir auch die ökologischen Mindeststandards des Arbeitskreises Green Shooting, welche ab 2023 in den Förderregularien sowie bei vielen Sendern und Medienunternehmen Anwendung finden werden.
Permalink: https://creative-europe-desk.de/artikel/news/vom-drehbuch-bis-zur-veranstaltung-die-filmbranche-wird-gruener