Ungehörte Geschichten, vergessene Stummfilmgrößen und Real Talk

Braunschweig International Film Festival, 10.-16.11.

  • (c) Carisma

Das Braunschweig International Film Festival (kurz BIFF) ist mit jährlich 23.000 Besucher:innen eines der größten Publikumsfestivals Norddeutschlands und hat eine lange Tradition. Etwa 250 internationale Lang- & Kurzfilme aller Genres werden an sieben Tagen dem Publikum präsentiert. Dabei steht insbesondere der europäische Nachwuchs im Fokus, aber auch etablierte Produktionen internationaler Arthouse-Regisseur:innen sind Teil des BIFF-Programms.

Creative Europe Desk Hamburg engagiert sich als Partner der Veranstaltung EMERGE! – Meet the European Film Talents, die am Samstag, den 15. November stattfindet.

EMERGE! – MEET THE EUROPEAN FILM TALENTS 

Jedes Jahr wählt das BIFF exzellente Debüt- und Zweitfilme für den Hauptwettbewerb aus. Die europäischen Produktionen behandeln berührende und kontroverse Themen, die uns fesseln, bilden und manchmal auch vor den Kopf stoßen. 

Doch wer sind die Köpfe hinter den Geschichten? Wie gelangen den jungen Talenten die ersten Schritte auf dem Weg von der Filmidee bis auf die Leinwand der internationalen Festivals? Und wie überwinden sie die Herausforderungen, über Vorstellungs – und Ländergrenzen hinweg zu arbeiten? 

Die Künstlerische Leiterin Karina Gauerhof im Gespräch mit europäischen Nachwuchsfilmemacher:innen,im Anschluss Q&A mit dem Publikum. Offen für alle Interessierten. 

Zur 39. Ausgabe, die vom 10. bis 16. November 2025 stattfindet wird, haben wir mit der Künstlerischen Leiterin Karina Gauerhof gesprochen.

Karina Gauerhof, Künstlerischen Leiterin 

INTERVIEW

Creative Europe Desk Hamburg: Mit ALFRED HITCHCOCK’S PSYCHO als Filmkonzert eröffnet das BIFF am 10. November. Welche Highlights erwarten Besucher:innen in diesem Jahr außerdem beim Festival?

Karina Gauerhof: Ehrlich gesagt fällt es mir in diesem Jahr so schwer wie noch nie, Highlights zu nennen. Gemeinsam mit den Sichtungsgruppen des Vereins haben wir ein unglaublich facettenreiches und anregendes Programm kuratiert – ich denke das Publikum sollte in Erwägung ziehen, eine Woche Urlaub beim BIFF zu machen, um möglichst viele Filme zu sehen. (scherzend) Mir persönlich liegt die diesjährige Sonderreihe des Festivals GenerationGOLD: Gestern - Heute - Morgen / Dün - bügün - yarın besonders am Herzen. Damit möchten wir die viel zu ungehörten oder vielleicht auch in Vergessenheit geratenen Geschichten der sog. Gastarbeiter:innen aus der Türkei ins Licht rücken. Anlässlich des bevorstehenden 65. Jubiläums des Anwerbeabkommens mit der Türkei bietet das BIFF mit GenerationGOLD einen Einblick in diese Geschichten. Die Filmreihe soll all die Menschen würdigen, die mit ihrer Arbeitskraft maßgeblich zum Wirtschaftswunder Deutschlands beigetragen haben. Die mangelnde Wertschätzung der ersten Generation hinterlässt auch Spuren bei den Folgegenerationen. Die Filme berühren durch ihre intimen Einblicke und setzen sich kritisch mit den Lebensumständen Eingewanderter aus der Türkei auseinander, sowie mit der Stellung der nachfolgenden Generationen in unserer heutigen Gesellschaft und hält uns als sog. Mehrheitsgesellschaft teilweise warnend, teilweise berührend einen Spiegel vor.

Außerdem freue ich mich, dass wir in diesem Jahr neben dem grandiosen PSYCHO als Filmkonzert auch noch zwei weitere Stummfilmkonzerte präsentieren. Darunter SHOES von Lois Weber aus dem Jahr 1916. Lois Weber war die führende Regisseurin und Drehbuchautorin im frühen Hollywood, ist heute aber kaum jemandem bekannt. Das Konzert läuft im Rahmen der Ausstellung Weibermacht. Die schöne Böse, eine Kooperation mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum. Die Berliner Pianistin Eunice Martins wird den Film live begleiten. Im Nachgang findet in Kooperation mit WIFT (Women in Film and Television) ein empowernder Networking-Empfang für FLINTA*-Personen statt.

Das Festival baut auch die Industry Sektion immer stärker aus, was steht hier dieses Jahr auf dem Programm?

Im Anschluss an den Film BEAUTIFUL EVENING, BEAUTIFUL DAY (R: Ivona Juka) werden wir beim Paneltalk „Flussabwärts liegt die Zukunft" mit Betroffenen, Filmemacher:innen und Expert:innen, Parallelen zwischen historischen und aktuellen Formen der Diskriminierung und Unterdrückung nicht heteronormativer Lebensweisen beleuchten. Im Fokus des Gesprächs stehen queeres Filmschaffen, Zensur, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und die Kraft der Community. Gemeinsam diskutieren wir Wege zu mehr Sichtbarkeit, Sicherheit, Solidarität und gesellschaftlichem Wandel. Der Film ist ein sehr kraftvoller Film, der unter die Haut geht, mich hat er total aus der Bahn geworfen: Vier Freunde werden nach dem 2. Weltkrieg als Helden gefeiert, da sie als Partisanen gegen die Faschisten gekämpft und diese besiegt haben. 16 Jahre später sind sie etablierte Filmemacher, die offen mit ihrer Homosexualität umgehen. Doch im kommunistischen Jugoslawien stößt dies auf Gegenstimmen und ihr Leben nimmt eine schmerzhafte und tragische Wendung.

Außerdem führen wir unseren Hochschultag ENCOURAGE CAMPUS CONNECTIONS in Kooperation mit ENCOURAGE Film Talents fort. Dabei liegt der Fokus auf den regionalen Universitäten und Hochschulen, die keine klassischen Filmhochschulen sind, in denen wir jedoch enormes Potenzial sehen, diese jungen Menschen untereinander, aber auch mit etablierten Menschen aus der Industrie zu connecten. Neben einem „How to Industry“-Workshop findet ein Netzwerkpitch in One-on-One Meetings statt und wir zeigen natürlich auch eine kleine Auswahl an Filmen der Studierenden.

Außerdem wird es einen sehr spannenden und informativen Vortrag zu Green Storytelling & Producing geben. Diesen hält Donald Houwer, Green Consultant & Vorstand beim Bundesverband Green Consultants Film & TV Deutschland e.V. und Co-Gründer und Leiter des Institute for Sustainability in Media and Education in Berlin.

Außerdem setzen wir das im vergangenen Jahr eingeführte Talkformat EMERGE! – Meet the European Film Talents fort, das wir gemeinsam mit euch vom MEDIA Desk Hamburg organisieren.

Bei unserer Kooperation laden wir gemeinsam wieder Nachwuchs Filmschaffende ein, die anderen Gästen bei einem Talk von ihren Schritten hin zum ersten oder zweiten Film berichten. Wie war das im letzten Jahr und könnt ihr schon verraten, wer dabei sein wird?

Mit EMERGE! – Meet the European Film Talents haben wir im vergangenen Jahr ein neues Talkformat ins Leben gerufen, das wir nun jährlich mit wechselnden Gästen fortführen. Eingeladen sind Nachwuchsregisseur:innen, die mit ihrem Debüt- oder Zweitfilm bei uns im Hauptwettbewerb vertreten sind. Anders als bei den klassischen Q&As nach den Screenings, in denen vor allem über den Film und dessen Inhalte gesprochen wird, gehen wir bei EMERGE! einen Schritt weiter – eine Art Real Talk.

Gemeinsam mit etwa drei aufstrebenden europäischen Filmschaffenden – aus Regie, Produktion oder Drehbuch – werfen wir einen Blick hinter die Kulissen: Wie verlief die Finanzierung? Wie lange dauerte der Weg von der ersten Idee bis zur fertigen Umsetzung? Welche Hürden mussten überwunden werden – und welche stehen noch bevor? Das sind Fragen, die nicht nur für Profis spannend sind, sondern auch für ein filmbegeistertes Publikum, das mehr über die Realität des Filmemachens erfahren möchte. Da wir ein Publikumsfestival sind und der Branchenteil im Vergleich zu größeren Festivals eher klein ausfällt, sehe ich es als meine Aufgabe, diesen Bereich behutsam weiterzuentwickeln – ohne dabei das reguläre Festivalpublikum auszuschließen. Begriffe wie „Industry Events“ wirken auf viele zunächst abschreckend, deshalb versuchen wir, unsere Veranstaltungen so zu gestalten, dass sie inhaltlich zugänglich bleiben und Interesse wecken – unabhängig von beruflichem Hintergrund.

Dafür haben wir starke Partner:innen an unserer Seite, die uns bei der inhaltlichen Ausrichtung und der Ansprache spezifischer Zielgruppen unterstützen. Beim Talk zu queeren Perspektiven etwa arbeiten wir eng mit dem Verein für sexuelle Emanzipation e.V. zusammen, der uns seit Jahren begleitet – sowohl inhaltlich als auch in der Moderation. Gemeinsam entwickeln wir Panel-Talks und kuratieren den queeren Wettbewerb ECHT. Mit dem Queeren Netzwerk Niedersachsen e.V. (QNN), das durch Landesmittel gefördert wird, haben wir zudem einen weiteren starken Partner an der Seite. Und genau darin liegt unsere Leidenschaft: Nicht nur Filme zu zeigen, sondern auch Brücken zu schaffen, die Kultur, Politik und Gesellschaft zusammenführen.