Mit Europa Cinemas durch die Krise

  • Auch im Erfurter KINOKLUB am Hirschlachufer heißt es: Vor dem Kino ist nach dem Kino © KINOKLUB am Hirschlachufer

Die zahlreichen Durchhalteparolen von „Fortsetzung folgt“ über „Wir sehen uns wieder“ bis zu „The Virus Strikes Back Pt. 2“ sind von den Displays der Filmtheater erst einmal wieder verschwunden. Stattdessen versprechen Titel wie „Titane“, „Walchensee Forever“ oder demnächst „Ammonite“, „Bergman Island“ oder „Billie - Legende des Jazz“ die Rückkehr cineastischer Poesie auf die Leinwände. Endlich Filme im Kino. Und ja: Endlich Menschen im Kino.

Die Kinos in ganz Europa haben eine lange Zeit nicht gewusst, ob und wie es für ihre Häuser und Mitarbeiter:innen weitergehen soll. Am Ende haben zahlreiche Hilfspakete, Fördermaßnahmen, technische Umrüstungen sowie viel Solidarität und ein achtsames Publikum den Kinos geholfen.
Auch Creative Europe MEDIA samt dem Kinonetzwerk Europa Cinemas konnten mit vereinten Kräften und Mitteln das Überleben der Kinos sicherstellen. Zumal es ja schon vor der Pandemie nicht ganz einfach war, sich als Kino den Transformationsprozessen – vom Wandel in der Mediennutzung oder bei den Kultur- und Freizeitinteressen – erfolgreich zu stellen.

Corona-Hilfen von 750.000 Euro für deutsche Europa Cinemas-Kinos
Als Europa Cinemas im Juli 2021 in Cannes seine Zahlen für das Jahr 2020 vorstellte, gab es wenig Freude, denn erst einmal musste das Netzwerk einen „Rückgang der Vorführungen um 51 % und der Besucherzahlen um 62 %“ verkünden, „was einem Gesamtbesuch von 30 Millionen Besuchern pro Jahr entspricht, verglichen mit 79 Millionen im Jahr 2019“, so ein Bericht auf der Website. Aber zugleich sahen die Kinonetzwerker für 2020 „eine bessere Krisenresistenz als der europäische Markt insgesamt: Der Rückgang der Besucherzahlen in den 1.143 Kinos des von Creative Europe MEDIA unterstützten Netzwerks beträgt 62 %, verglichen mit 70 % für den europäischen Markt.“

„Die Sonderförderung Covid-19 wurde fast allen deutschen Mitgliedern gewährt, d.h. rund 200 Kinos, von denen ein Viertel nur einen Saal haben. Diese Unterstützung sollte den Kinos im ersten Quartal 2021, als die zweite administrative Schließung anstand, schnell zugewiesen werden. Diese außerordentliche Unterstützung wurde von den Kinos genutzt, um ihre monatlichen Ausgaben in einer Zeit zu begleichen, in der es keine Aktivitäten und keine Einnahmen gab“ so Nicolas Edmery von Europa Cinemas. Und Edmery ergänzt: „Trotz der Krise bleibt unser Netzwerk stabil: Nur einige Kinos wurden 2020 definitiv geschlossen, keines davon in Deutschland. Außerdem werden sich 2021 15 Kinos dem Netzwerk anschließen, was dessen Vitalität trotz der Covid-19-Krise und der Schwierigkeiten, mit denen die Kinos seit 2020 zu kämpfen haben, bestätigt.“

Welche Länder waren besonders betroffen? Nach Einspielergebnissen für 2020 waren das an vorderster Stelle Rumänien mit 88,78 % an Verlusten, gefolgt von Belgien mit 77,65 % und an dritter Stelle Portugal mit 77,56 %. Die am stärksten betroffenen Länder beim Zuschauerrückgang 2020 waren laut Europa Cinemas Bosnien und Herzegowina (-85,35 %), Malta (-76,83 %), Montenegro (-75,90 %), das Vereinigte Königreich (74,43 %) und Rumänien (-74,09 %). In Zypern waren Kinos ganze 176 Tage lang geschlossen, so Europa Cinemas. In Deutschland blieben 2020 die Kinos im Durchschnitt 139 Tage geschlossen, errechnet aus den HDF-Zahlen zu allen Bundesländern. All diese Erhebungen zeigen ein sehr unterschiedliches Bild in Europa, zumal einige Länder weniger öffentliche Hilfen anbieten konnten. So waren auch die EU-Hilfen, die zusätzlich zu nationalen Anstrengungen geflossen sind, ein wichtiges Zeichen.

Programmkinos in Mitteldeutschland
Die zitierte „Loyalität des engagierten Publikums und die Widerstandsfähigkeit der Kinos“, sie zeigt sich auch bei vielen Programmkinos in Mitteldeutschland: Auch deren Rückkehr funktioniert, wenn auch mit Schrittgeschwindigkeit, denn die pandemiebedingten Einschränkungen lassen eine größere Auslastung eben nur langsam zu. Dank der Kinoprogrammpreise der MDM sowie weiterer Maßnahmen konnten die Sorgen vieler Kinomacher:innen abgemildert werden. Und auch hier kam weitere Hilfe von europäischer Ebene. Europa Cinemas unterstützte jüngst die 195 Netzwerk-Kinos in Deutschland mit 2,3 Mio. Euro für das Jahr 2020. Und es erhielt vom MEDIA-Programm zusätzliche 5 Mio. Euro, die u.a. für besonders gefährdete Filmtheater eingesetzt wurden (4 Mio. Euro wurden für Corona-Soforthilfen, 1 Mio. für das neue Europa Cinemas-Förderprogramm „Collaborate to Innovate“). Für die deutschen Europa Cinemas-Kinos standen gut 750.000 Euro an Corona-Hilfsgeldern bereit. 

KINOKLUB am Hirschlachufer in Erfurt: Europa Cinemas-Kino seit über 20 Jahren
In Mitteldeutschland sind heute 15 Kinos Teil der Europa Cinemas-Familie: sechs Kinos aus Dresden (Filmtheater Schauburg, KIF - Kino in der Fabrik, Programmkino Ost, Zentralkino, Thalia Cinema, Coffee and Cycling), drei aus Leipzig (Passagekinos, Schaubühne Lindenfels, Kinobar Prager Frühling), zwei aus Halle (Luchs-Kino am Zoo, Puschkino) und das Metropol Kino in Gera, das Kino im Schillerhof in Jena, das Lichthaus Kino im Straßendepot, Weimar, und das Erfurter Kinoklub am Hirschlachufer. Der Erfurter Kino gehört seit über 20 Jahren zum Netzwerk.
„Rein finanziell sind wir gut durch die Pandemie gekommen. Natürlich war es für uns, aber vor allem für unsere Zuschauer ein großer Verlust. Das gemeinsame Kinoerlebnis mit den besonderen Filmen in unserem besonderen Kino haben alle vermisst“, erzählt Petra Beltz, die Geschäftsführerin des Kinos. „Wir sind trotz Schließung weiterhin von der Stadt Erfurt (Institutionelle Förderung) gefördert worden. Auch von der Agentur für Arbeit sind wir mit KUG unterstützt worden“, ergänzt Beltz. Hinzu kamen weitere Hilfen sowie Mittel der FFA und von Europa Cinemas.
„Europa Cinemas hat die Kinobetreiber des Netzwerks auf dreifache Weise unterstützt: durch eine Vorauszahlung auf die Förderung für 2020, durch eine Änderung der Leitlinien, die die Schwierigkeiten der Kinos während der Krise berücksichtigt sowie durch eine außerordentliche Unterstützung im ersten Quartal 2021“, berichtet Nicolas Edmery.

MEDIA Förderung für Kinos
Creative Europe MEDIA fördert Europa Cinemas seit bald 30 Jahren. Für einen hohen Jahresanteil an europäischen Filmen erhalten die Kinos Prämien von bis zu 50.000 Euro. Zum Netzwerk gehören aktuell 1.268 Kinos und 3.136 Leinwände aus 72 Ländern. Europäische Hits wie „Der Rausch“ (R. Thomas Vinterberg), aber auch „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (R. Dominik Graf), „Ich bin dein Mensch“ (Marina Schrader) sowie „Ostwind 5 - Der große Orkan (R. Lea Schmidbauer) oder „Die Olchis“ (R. Toby Genkel) halfen den heimischen Programmkinos zusätzlich bei ihrer mühsamen Rückkehr in das, was man früher mal Normalität nannte.

Was das europäische Kino für sie und für ihr Publikum bedeutet, weiß Petra Beltz ziemlich genau: „Gerade im Arthouse-Bereich bietet der europäische Film eine große Bandbreite an Themen, Genres und Macharten. Wir sehen es als Teil unseres Engagements, mit der inhaltlichen Vielfalt unserem Publikum auch den Reichtum Europas zu vermitteln und dadurch das Gemeinschaftsgefühl und gegenseitiges Verständnis in Europa, aber auch darüber hinaus, zu fördern und zu vermitteln. Und die Resonanz unserer Zuschauer zeigt ja auch, dass wir da wahrgenommen werden und offensichtlich auch richtig liegen.“

Wenn der Erfurter KINOKLUB im Jahr 2025 seinen 50. Geburtstag feiert, soll ein zweiter Standort im KulturQuartier Schauspielhaus ein breiteres und jüngeres Publikum begeistern. „50 Jahre sind ja auch etwas ganz Besonderes!“, sagt Petra Beltz – und wagt so einen optimistischen Blick in die Zukunft. Neben Hilfsgeldern zählt eben vor allem eines ganz besonders: die Liebe der Kinobetreiber:innen und ihres Publikums für das Kino, ob in oder aus Europa.

Hinweis: Der Text ist eine längere Fassung eines Artikel, veröffentlicht im Infomagazin TRAILER der Mitteldeutschen Medienförderung MDM, Ausgabe #3 2021.