KI und Stoffentwicklung

Interview mit Oliver Schütte: „Die KI wird alles verändern“

  • Oliver Schütte C) Gerhard Kassner

    Oliver Schütte © Gerhard Kassner

Künstliche Intelligenz ist auf dem besten Wege, auch zentrale Arbeitsschritte in der Filmindustrie zu verändern – und zu übernehmen. Der Drehbuchautor, Dramaturg, Autor und Publizist Oliver Schütte gibt einen kleinen Einblick, wie und wo Künstliche Intelligenz auch die Stoffentwicklung beeinflusst.

Creative Europe Desks: Schreib mir einen Stoff, der zehn Oscars einbringt. Geht das mit KI?

Oliver Schütte: Bei allen Fragen rund um KI gilt: Die Antwort ist immer nur eine Momentaufnahme. Die Modelle entwickeln sich rasant – niemand kann mit Sicherheit sagen, was morgen möglich sein wird. Um die Frage jedoch derzeit klar zu beantworten: Nein, mit einem einzigen Prompt lässt sich kein drehfertiges Drehbuch erstellen, das professionellen Ansprüchen genügt – geschweige denn ein Oscar-verdächtiges Meisterwerk. Was allerdings schon heute möglich ist: KI kann Autorinnen und Autoren beim Schreiben unterstützen – als kreativer Sparringspartner, der Schreibblockaden löst, Fragen beantwortet und inspirierende Vorschläge liefert.

Jetzt aber Prompts! Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl: Jetzt wird KI die Arbeit von Drehbuchautor*innen verändern?

Am 1. Dezember 2022. An diesem Tag habe ich davon gehört, dass eine Firma in San Francisco vor wenigen Stunden eine KI veröffentlich hat. Natürlich habe ich sie sofort ausprobiert. Damals funktionierte sie nur auf Englisch – aber mir war sofort klar: Das wird unsere Branche radikal verändern.

Was – neben (menschlicher) Kreativität und Neugier – braucht man für Stoffentwicklung mit KI?

Wirkliches Wissen zeigt sich in den richtigen Prompts. Fragen stellen kann jeder – aber das volle Potenzial der KI entfaltet sich erst mit den wirkungsvollen Eingaben. Wer weiß, wie man sie füttert, bekommt auch die besten Antworten.

Welche Auswirkungen hat KI auf bislang traditionelle Prozesse bei der Stoffentwicklung und Dramaturgie von Filmen?

Die KI wird alles verändern. Wer sie einsetzt, kann Prozesse massiv beschleunigen. In Sekundenschnelle lässt sich ein neuer Ansatz ausprobieren – rein experimentell – und sofort prüfen, ob sich eine Weiterverfolgung lohnt. Auch die Backstories aller Figuren lassen sich mit ihrer Hilfe im Handumdrehen entwickeln. All das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Entwicklungszeit insgesamt verkürzt. Denn in den meisten Fällen hakt es nicht an den Autorinnen und Autoren – sondern am langen Warten auf Rückmeldungen von Produktionen, Sendern und Förderinstitutionen.

Wo und ab wann funktionieren Stoffentwicklung und KI, wo liegen die Grenzen?

Die KI ist ein Sparringspartner – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Allerdings ein eher konfliktscheuer Geselle: Für das Entwickeln spannungsgeladener Geschichten eignet er sich nur begrenzt. Und was den Humor angeht – sagen wir’s so: Für Komödien ist dieser Partner bislang nur bedingt zu gebrauchen.

Welche Drehbuchsoftware und KI-Tools sind aktuell zu empfehlen?

Die deutsche Drehbuchsoftware „Dramaqueen“ hat inzwischen eine KI-Schnittstelle integriert – ideal für alle, die eine Lösung aus einer Hand suchen. Ansonsten gilt: Die Wahl des Modells ist weniger entscheidend. Mit den richtigen Prompts lassen sich in allen gängigen Systemen – ob ChatGPT, Claude, Mistral oder Gemini – überzeugende Ergebnisse erzielen.

Ob bei Exposés, Treatments oder Drehbüchern: Was sollten insbesondere Produzent*innen beachten, um Stoffentwicklung und KI optimal zu nutzen?

Wichtig ist zunächst, mit den Autorinnen und Autoren offen über den Einsatz von KI zu sprechen – und vor allem: deren Material niemals ungefragt in eine KI einspeisen. Oft liegt es in der Verantwortung der Produktionsfirmen, das Begleitmaterial zu erstellen – also Logline, Synopsis oder Pitch-Mappen. Mit KI lässt sich das heute zweifellos deutlich schneller umsetzen – aber Transparenz und Absprache bleiben das A und O.

Für Produzent*innen eine elementare Frage: Reduziert KI bald erkennbar die Kosten?

Das ist eine berechtigte Frage – denn genau das erhoffen sich viele Produktionsfirmen. Aber gute Arbeit und kreative Energie müssen auch weiterhin fair bezahlt werden. Autorinnen und Autoren wurden bisher schließlich auch nicht nach Stunden entlohnt. Es wäre der falsche Weg, dieses Prinzip nun plötzlich infrage zu stellen – nur weil KI-Tools neue Möglichkeiten bieten.

Wie sieht hier aktuell die Urheberrechtslage aus, ein sicherlich wichtiger Punkt für Autor*innen und Produzent*innen?

Das europäische Urheberrecht sagt, dass nur ein Mensch Urheberrechte generieren kann. Insofern kann eine KI kein urheberrechtlich geschütztes Werk erzeugen. Da ist die Lage eindeutig und klar. Aber dann wird es auch schon schwieriger. Wer hat zum Beispiel das Urheberecht, wenn die KI die Hälfte eines Textes geschrieben hat, aber ein Mensch die andere Hälfte mit Prompts erzeugt hat.

Eignet sich KI für bestimmte Genres besonders gut eignet?

Die KI ist als Sparringspartner für alle Genres geeignet, sofern klar ist, dass sie konfliktscheu und wenig humorvoll agiert. Ihre Stärken entfaltet sie vor allem dort, wo es um Struktur, wiedererkennbare Muster und das Erfüllen genretypischer Erwartungen geht – etwa bei Serienformaten oder klassisch aufgebauten Dramaturgien. Für originelle Wendungen, emotionale Tiefe oder feinen Witz braucht es jedoch weiterhin die kreative Intuition von Autorinnen und Autoren.

Ein gewisser Hang zu Enthusiasmus in den USA und Skepsis in Europa wirft die Frage auf: An welchen Stellen sollte die EU sich schnell engagieren, um die Nutzung von KI für die Filmbranche bei kreativen wie juristischen Aspekten attraktiv zu machen und zu begleiten?

Die Offenheit in den USA ist sicherlich förderlich für Innovationen, während die EU zurecht großen Wert auf den Schutz der Bürger*innen legt. Mit der Filmbranche hat das allerdings nur bedingt zu tun. Dort zeigt sich das Bild umgekehrt: In Hollywood haben die Gewerkschaften großen Einfluss – sichtbar etwa beim Writer’s Guild-Streik 2023. In Deutschland hingegen fehlt eine vergleichbare Vertretung, was oft zu Wild-West-Methoden führt. Ein schwieriger, teils schmerzhafter Wandel steht bevor – aber auch eine Chance: für mehr Fairness, bessere Rahmenbedingungen und ein neues Selbstbewusstsein im kreativen Schaffen.

Vielen Dank!

Oliver Schütte (geb. 1960) studierte von 1981 bis 1987 Theaterwissenschaft, Publizistik und Soziologie an der FU Berlin und arbeitet seit 1987 freiberuflich als Drehbuchautor und seit 1991 auch als Dramaturg. 1995 gründete er die Master School Drehbuch, die er bis Ende 2008 geleitet hat. Die Weiterbildungsinitiative hat internationale Stoffentwicklungsprogramme, Workshops, Seminare und andere Veranstaltungen konzipiert und durchführt. 1995 begann zudem eine umfangreiche Lehrtätigkeit im In- und Ausland. 1997 war er Mitbegründer der Development Agentur Script House, der er bis zum Jahre 2001 angehörte. 2000 initiierte er das Scriptforum, die einzige deutsche Konferenz und Messe für Drehbuch und Stoffentwicklung, deren künstlerischer Leiter er bis zum Jahr 2006 war. Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie. Von 2014 bis 2024 war er Mitbegründer und Geschäftsführer der Filmproduktion tellfilm Deutschland. www.oliverschuette.de