Über aktuelle Fragen der Filmauswertung diskutierten erfahrene Vertreter aus Verleih, Vertrieb und Produktion bei European Work in Progress von 5. - 7. Oktober in Köln.
Herzstück von EWIP waren die Pitchings, bei denen 28 Filmprojekte aus 34 Ländern präsentiert wurden. Das Rahmenprogramm fand in Zusammenarbeit mit den Creative Europe Desks NRW und Deutschland statt.
PANEL „Rethinking Business? – Film Distribution in Times of Corona“
Moderiert von Fabian Massah (Endorphine Production), diskutierten Steffen Gerlach (Capelight Pictures), Thorsten Ritter (Beta Cinema) und Joan Sala (Filmin) über die Auswirkungen der derzeitigen Krise auf die Branche. Welche Geschäftsmodelle können nach der Krise Bestand haben?
Thorsten Ritter hob hervor, der Markt sei bereits vor der Pandemie fragmentiert gewesen und befinde sich – auch aufgrund der Streaming-Dienste – in stetigem Wandel. In Bezug auf neue Auswertungsmodelle sagte er, die richtige Strategie hänge immer vom einzelnen Titel ab. Hinsichtlich der Kinoauswertung bemerkte Steffen Gerlach, die Zuschauer hätten während des Lockdowns zum Teil neue Wege gefunden, Filme zu konsumieren. Zudem fehlten – aufgrund von Produktionsstopps und Verschiebungen großer US-Blockbuster – wichtige Neustarts. Für Kinos seien zukünftig das angebotene Erlebnis und der Preis besonders entscheidend. Den Markt insgesamt betreffend rechnet Gerlach mit einem härteren Wettbewerb: Vor allem kleinere Produktionen hätten es künftig schwer, sich durchzusetzen.
Joan Sala von Filmin konnte von einer wachsenden Abonnentenzahl während des Lockdowns berichten. Auch das TVoD-Modell sei in dieser Zeit erfolgreich gewesen.
Auch mit Festivals kooperiert die MEDIA geförderte Plattform bereits seit Jahren und stellt ausgewählte Filme online zur Verfügung. Die Pandemie sei ein Katalysator dieses Trends gewesen, da Festivals nun verstärkt auf virtuelle oder hybride Konzepte setzen. Dies habe den Vorteil, dass auch regionale Festivals ein größeres Publikum erreichen könnten.
Einig waren sich die Panelisten, dass die Branche zusammenarbeiten müsse, um die Krise zu überwinden. Wichtig seien Kommunikation, Transparenz und Erfahrungsaustausch. Ein konkretes Modell der Zusammenarbeit seien Co-Releases: Beim Start von „Parasite“ – herausgebracht von Koch Films und Capelight – habe dieses Modell laut Gerlach sehr gut funktioniert.
CASE STUDY „Der Glanz der Unsichtbaren“
Bei der Case Study zum MEDIA geförderten Drama „Der Glanz der Unsichtbaren“ standen internationale Vertriebs- und Marketingstrategien im Vordergrund. Der Ensemblefilm über eine Gruppe Obdachloser Frauen und deren Sozialarbeiterinnen war bereits 2019 im Kino zu sehen und somit nicht von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die Moderation übernahm Aranka Matits.
Mit den internationalen Zuschauerzahlen war Yohann Comte vom Pariser Weltvertrieb Charades zufrieden. Der Filme sei vor allem in französischsprachigen Gebieten gut gelaufen und überall dort, wo synchronisiert wird, z.B. in Italien, Spanien oder Deutschland. Die deutsche Herausbringung war laut Enrico Dirksen von Piffl Medien mit rund 95.000 Zuschauern ein Erfolg – und das trotz des zeitgleichen Starts von „Joker“. Zur erfolgreichen Kampagne gehörten u.a. Medienpartnerschaften mit Zeitschriften und Radiosendern, sowie Kooperationen mit Institutionen. Er betonte auch, wie wichtig Events für die erfolgreiche Herausbringung von Arthouse-Filmen seien: Allein in den 81 Previews sahen 5.700 Menschen den Film. In Israel hingegen war der Film trotz einer ähnlichen Kampagne mit nur 13.000 Kinozuschauern wenig erfolgreich. Die Gründe dafür sieht Für Daniel Melamed von New Cinema Ltd. aus Tel Aviv u.a. in dem schwer zu übersetzenden Humor mit vielen französischen Anspielungen – „Comedy doesn’t travel!“.
PANEL „Targeting Audiences!“
Im Fokus der abschließenden Diskussion, moderiert von Alexandre Dupont-Geisselmann, standen Zielgruppenarbeit für Filmverleiher und der Aufbau erfolgreicher Kampagnen. Einblicke in ihre Erfahrungen gewährten Jan Krüger (Port-au-Prince) und Jean Heijl (Just Film Distribution):
Krüger präsentierte seine Herausbringungsstrategie für „Systemsprenger“, die auch in Abstimmung mit Regisseurin Nora Fingscheidt entwickelt wurde. Heijl hatte zwei Beispiele für die Herausbringung deutscher Filme in den Niederlanden mitgebracht: Den erfolgreichen Kinderfilm „Gespensterjäger“ und „Der Trafikant“, dessen Kinostart durch Corona verschoben werden musste und deutlich hinter den Erwartungen des niederländischen Verleihers zurückblieb.
Wichtig sei – neben dem Film selbst und seiner Message – vor allem das richtige Timing. Selbst bei einem Oscar-Kandidaten wie „Systemsprenger“ müsse man „um jeden einzelnen Zuschauer kämpfen“, so Krüger. Um das Publikum zu erreichen, sei die Kooperation von Weltvertrieb, Verleihern und Kinobetreibern notwendig.
Mit dem Satz „Data is the new oil“ betonte Krüger die Wichtigkeit belastbarer Zuschauerdaten. Ein Problem in diesem Bereich seien z.B. die vielen verschiedenen Ticketing-Systeme auf dem Markt.
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