Filmland Belgien

Schräge Filme, kreative Fördersysteme

  • "L´Enfant" der Dardenne-Brüder © Celluloid Dreams

Belgische Filme werden häufig für französische gehalten, tauchen selten in Multiplexen auf und sind auch nicht gerade für internationale Superstars bekannt (Jean Claude van Damme einmal ausgenommen). Dabei hat Belgien ein feines Autorenkino, das zu einer der kreativsten und individuellsten Filmlandschaften in Europa gehören dürfte.

Goldene Palmen für belgische Filme
Filme aus Belgien laufen regelmäßig im Programm renommierter Festivals. In jüngster Zeit waren es Koproduktionen wie „Irina Palm“ von Sam Garbarski oder die beiden belgisch koproduzierten Filme „Goodbye Bafana“ von Bille August und der mit fünf Césars ausgezeichnete „Lady Chatterly“. Das Erste-Weltkriegs-Epos „Frohe Weihnachten“ von Christian Cario mit Daniel Brühl dürfte sogar ein größeres Publikum gesehen haben – obwohl wahrscheinlich kaum jemand wusste, dass der Film ebenfalls mit belgischer Beteiligung entstanden ist.
In den letzten Jahren waren es vor allem die Brüder Jean Pierre und Luc Dardenne, die einen kleinen Spot auf den belgischen Film richten konnten. 2005 erhielten sie für „L’Enfant“ zum zweiten Mal die goldene Palme in Cannes; 1999 wurde sie ihnen für ihren Spielfilm „Rosetta“ verliehen.
Milieubeschreibungen wie die der Dardenne-Brüder gehen an die Nerven und bestechen durch ihren mitunter harten Realismus. Und der ist es auch, der sich quasi wie ein Leitmotiv durch belgische Filme zieht, mit einem Faible fürs Schräge und einem Blick für die obskure Darstellung menschlicher Abgründe. Der Hang zum dokumentarischen Erzählen scheint dabei ein festverankerter Bestandteil der belgischen Filmkultur zu sein: Die so genannte „Belgische Schule“ hat in Europa die Tradition des sozialen bzw. realistischen Dokumentarfilms mitbegründet. Nicht zu verwechseln mit der Belgischen Schule im Bereich der Comics, die übrigens für die europäische Comic-Kultur stilbildend ist und vielleicht ja auch eine Verbindung zu Belgiens lebendiger Animationsfilmszene schließt. Bezeichnend, dass eins der international größten und wichtigsten Animationsfilm-Netzwerke, „Cartoon“, seinen Sitz in Brüssel hat.
Vielleicht liegt es ja an der alten-neuen, oft zitierten Kluft zwischen Wallonen und Flamen – jedenfalls scheinen belgische Filmemacher immer ein bisschen radikaler und aggressiver in der Wahl ihrer ästhetischen und erzählerischen Mittel zu sein; und die Welt in belgischen Filmen ist oft kaputt und krank. Jüngstes Beispiel dafür dürfte Koen Martiers kontroverses Anarchodrama „Ex-Drummer“ und bekanntestes die Mediensatire „Mann beißt Hund“ des Filmemacher-Trios Belveaux/Bonzel/Poelvoorde sein.
Der spezielle und individualistische Charakter des belgischen Kinos spiegelt sich aber auch in der Vielfältigkeit der etwa zwanzig Filmfestivals, die sich über alle Regionen erstrecken. Auffällig viele davon sind häufig Themen- oder Regionbezogen, wie z.B. das internationale Festival des Liebesfilms in Mons oder das Brussels International Festival of Fantastic Films.
Umgekehrt kümmern sich die beiden Organisationen Flanders Image und Wallonie Brussels Image (WBI) um den Export belgischer Filme ins Ausland und die Pflege und Betreuung nationaler Produktionsfirmen.

Das wahre Kinoleben der Belgier
Die eigenen Produktionen scheinen bei den Belgiern auf wenig Gegenliebe zu stoßen; 2006 befand sich unter den 50 erfolgreichsten EU-Kinofilmen in Belgien keine einzige nationale Produktion. Neben US-Produktionen sind am häufigsten Filme aus Frankreich im Kino zu sehen. Zwischen 2004 und 2005 liefen 236 amerikanische, 122 französische Filme und nur 20 Eigenproduktionen in den belgischen Kinos. Der erfolgreichste ausländische Film in 2006 war „Harry Potter“; die erfolgreichste nationale Produktion war zwischen 2000 und 2006 die belgisch-niederländische Koproduktion „The Alzheimer Case“ von Erik van Loy, ein düsterer Krimi um Erpressung, Korruption und einen Kinderpornoring, dessen Drahtzieher in den höchsten Regierungskreisen Belgiens sitzen.
2006 wurden rund 23,4 Millionen Tickets in Belgien verkauft. 11,4 Millionen davon im flämischen, 6,9 im wallonischen Teil und 5,0 Millionen in der Region Brüssel. Rein statistisch ging jeder Belgier umgerechnet 2,26 Mal ins Kino. Pro Ticket hat er etwa 6 Euro ausgegeben.
Während zwischen 2005 und 2006 der Ticketverkauf um 7,7% stieg, war er in der ersten Hälfte von 2007 um 9,7% rückläufig. Vielleicht liegt die Kinomüdigkeit an der hohen Anzahl VoD-Dienste; Ende 2006 zählte die audiovisuelle Informationsstelle elf Anbieter in Belgien, nur einer weniger als in Deutschland.
Dennoch ist Belgien ein sehr koproduktionsfreundliches Land. Unter den 46 Langfilmen, die 2006 in Belgien produziert wurden, waren 25 minoritäre und dreizehn majoritäre Koproduktionen sowie acht nationale Produktionen.

Wenns ums Geld geht – Tax Shelter
Entsprechend des föderalen Prinzips Belgiens existieren staatliche Filmförderprogramme, die jeweils den flämischen und den frankophonen Teil unterstützen. Die Filmindustrie des mit rund drei Millionen Einwohner starken wallonischen Teil wird seit 1995 vom CCAV (Centre du Cinéma et de l’Audiovisuel) gefördert, für den größeren flämischen Teil mit rund sechs Millionen Einwohnern ist der VAF (Vlaams Audiovisueel Fonds) zuständig. Die CCAV erhält jährlich rund 14 Millionen Euro, der VAF 12 Millionen Euro. 2,5 Euro werden darüber hinaus von dem Fonds Wallimage vergeben.
Wallimage/Sowalim wurden im Februar 2001 in Mons gegründet, um gezielt die Filmindustrie des wallonischen Teils Belgiens durch Standortmarketing und als Koproduzent zu stärken. Darüber hinaus werden junge und neue Unternehmen bei der Firmengründung unterstützt.
Dabei übernimmt Wallimage die Stärkung der Region z.B. durch Promotionsmaßnahmen, während Sowalim finanzielle Mittel vergibt. Als Faustregel gilt hierbei: jeder Euro, der in einen Produzenten investiert wird, soll mindestens einen Euro als audiovisuelle Ausgabe generieren. Die Summen werden zu max. 60% als Ko-Investment und zu max. 40% in Form von Krediten vergeben, welche wiederum drei Jahre genutzt werden können.
Dieses Förderprinzip lehnt sich an das von der belgischen Regierung lancierte Tax Shelter System an. Es soll privatwirtschaftliche Unternehmen aus Belgien und dem Ausland motivieren, in Filmproduktionen zu investieren. Vorausgesetzt, dass es sich dabei um keine Produktionsfirma handelt - kann ein Unternehmen bis zu 50% des steuerbaren Gewinns (bis 750.000 Euro im Jahr) in die Produktion von Filmen investieren. 150% seiner Investitionssumme kann der Investor von seinem zu besteuernden Gewinn abziehen.
Seit seiner Einführung 2003 hat das System einen neuen Produktions-Boom ausgelöst; über 35 Millionen flossen dadurch bislang in belgische Produktionen, darunter auch „L’Enfant“. Das System stieß aber auch auf die Kritik einiger Produzenten, die diversen Beraterfirmen vorwarfen, das Geld anderen Unternehmen zugute kommen zu lassen, indem sie Investoren eine Gewinnrate von bis zu 12 % garantierten.
Peter Bouckaert von der flämischen Produzentenvereinigung sah in dieser Praxis einen Missbrauch des Tax Shelter Systems und stieß mit seinem Kollegen Patrick Quinet von der frankophonen Produzentenvereinigung eine Zusammenarbeit mit der ING Bank an, die zugunsten der belgischen Filmindustrie Klarheit schaffen sollte. Im Mai 2007 schließlich rief die ING Bank die in Kooperation mit Filmschaffenden entstandenen “Tax Shelter Partners” ins Leben. Diese zu diesem Zeitpunkt einzige Initiative soll als Mittler zwischen Investoren und Produzenten fungieren. Gleichzeitig garantiert die Bank die Darlehensabsicherung und gewährleistet die Einschränkung des finanziellen Verlustrisikos. Vor allem aber wurde eine so genannte „charta of good practice“ vereinbart, die unter Berücksichtigung eines transparenten Bewertungssystems und Auswahlverfahrens die Gleichbehandlung der Projekte, unabhängig von ihrer Profitabilität, garantieren soll.

Belgiens Filmlandschaft hat also eine Menge für Cineasten, nationale und internationale Filmschaffende zu bieten.
„Das Wichtige ist, die Originalität unseres Kinos mit seiner Identitätsfragestellung und seiner genialen Dosis Spott zu verstehen“ liest man auf der Webseite, mit der Brüssel um Touristen wirbt. Stimmt.