Der Geschäftsführer des Arthouse-FIlmverleihs Grandfilm im Quarantäne-Interview über die Lage der Verleiher und Kinos zurzeit, das Erlebnis Kino versus VoD und was er sich vom MEDIA-Programm in der Krise wünscht
Welchen Fokus legt Grandfilm auf seinem Programm?
Patrick Horn: Wir machen ein sehr kuratiertes Programm. Unser Fokus liegt dabei auf Filmen, die formal und inhaltlich neue Wege gehen. Das sind oft Filme, die auch international diskutiert werden und auf den großen Festivals laufen, aber manchmal auch neue Entdeckungen von uns.
Seit drei Monaten verhindert der Lockdown nun schon reguläre Kinostarts. Wie habt ihr als Verleih auf eine solche Maßnahme, bei der nicht eindeutig klar wird, wann es wieder normal weitergehen kann, reagiert?
Horn: Unser erster Gedanke galt den Kinos, mit denen wir viel zusammenarbeiten und die unsere Frühjahrsstarts gespielt hätten. Uns war klar, dass gerade diese sensiblen Orte von einem Lockdown besonders getroffen werden würden. So entschieden wir uns, unseren Verleih-Katalog als VOD zugänglich zu machen und die Einnahmen mit den Kinos zu teilen.
Unsere regulären Starts mussten wir natürlich alle verschieben, und bis heute ist unklar, wann wir wieder normal Betrieb machen können. Für uns, aber auch für die ganze Branche ist das gerade ein Ausprobieren mit noch sehr unabsehbarem Ende.
Die AG Kino forderte in ihrem Blog über die mögliche Wiedereröffnung von Kinos „neue, starke Filme“. Was könnte das für den Arthouse-Film bedeuten? Krise oder Chance?
Horn: Ich denke „neue, starke Filme“ wollen alle Verleiher, also natürlich auch wir. Das ist ja eigentlich selbstverständlich. Wenn jetzt natürlich alle Kinos denselben Film spielen, wäre das katastrophal für die deutsche Filmlandschaft und würde die Vielfalt des Kinos gefährden. Wenn aber Kinos die verminderte Platzkapazität nutzen, um auch Dinge auszuprobieren, wenn der eine oder andere starke Film es ins Programm schafft, der unter normalen Bedingungen vielleicht nicht gelaufen wäre, dann ist das sicherlich eine Chance für das Kino.
Auch wenn die Kinos langsam wieder öffnen können, Hygieneauflagen und Abstandsgebot würden auch diese gemeinschaftlichen Orte verändern. Was können Kinos auch noch in der post-pandemischen Phase leisten?
Horn: Dass Hygieneauflagen und Abstandsgebote das Leben verändern, sieht man zur Zeit ja überall. Das ist nicht kinospezifisch, man wird das sehen, wie sich der Ort Kino dadurch verändert.
Mir geht es aber andersrum so und auch vielen, mit denen ich spreche, dass das VoD-Streamen seinen Reiz immer mehr verliert und ich mich danach sehne, endlich mal wieder im Kino einen Film zu sehen. Der dreimonatige Kinoentzug hat bei mir eher dazu geführt, die Wichtigkeit des Kinos zu erkennen. Das gemeinschaftliche Sehen ist ein Aspekt, der ein Stück weit eingeschränkt werden muss, aber an Kino hängt ja viel mehr: Beginnend mit den wöchentlichen Filmstarts, die begleitet werden von der Filmkritik und somit als Richtschnur und für die Sichtbarkeit der Filme enorm wichtig sind. Aber eben auch das Erlebnis Kino, die große Leinwand. Es wird sicherlich weiterhin so sein, dass viele Filme den größten Teil ihrer Einnahmen im Kino generieren. Das Kino ist weiterhin essenziell für nahezu alle Bereiche der Filmindustrie. An der Erholung des Ortes Kino hängt letztlich die gesamte Branche.
Was wünscht ihr euch vom MEDIA-Programm in Zeiten der Coronakrise?
Horn: Corona ist ja zunächst mal die Zeit der Landesregierungen und der nationalen Förderung. Da sind die Programme in Deutschland bisher noch relativ ungeeignet für die Verleiher. Auf EU-Ebene wäre eine stärkere strukturelle Förderung im Verleihbereich schön, um die bestehende vielfältige Verleihinfrastruktur in Europa zu sichern. Vielleicht wäre ein Slate Funding ähnlich wie in der Produktion vorstellbar, mit dem auf Basis des voraussichtlichen Line Ups kleine und mittlere Verleiher während und nach Corona gestützt werden können.
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