33 Jahre im „Himmel über Europa“

 Ein Gespräch mit Marion Döring

  • 30 Jahre European Film Academy

    30 Jahre European Film Academy © Christian Schulz

Den runden 30. Geburtstag der European Film Awards konnte sie im Dezember 2017 noch ausgiebig und gemeinsam mit Gästen sowie den Creative Europe Desks feiern: Marion Döring, Geschäftsführerin und Motor der European Film Academy (EFA). Nun tritt sie einen großen Schritt zurück und übergibt – nach 33 Jahren leidenschaftlichen Engagements für die Sichtbarkeit des europäischen Films – zum Jahresende 2020 die Geschäftsführung der EFA an Matthijs Wouter Knol, den ehemaligen Programmleiter von Berlinale Talents und zuletzt Direktor des European Film Markets (EFM).

Von Beginn an, also seit der Gründung der European Film Academy im Jahre 1988, war Marion Döring der Akademie und ihren Visionen verbunden. Anfangs betreute die gelernte Journalistin die Pressearbeit des Europäischen Filmpreises und wurde anschließend Projektleiterin für alle Aktivitäten und Publikationen der EFA. 1996 schließlich übernahm sie die Geschäftsführung und arbeitete seitdem eng mit den Akademievorsitzenden Nik Powell, Humbert Balsan, Yves Marmion, Agnieszka Holland sowie aktuell Mike Downey und EFA-Präsident Wim Wenders zusammen. Seit 2004 ist sie Produzentin des Europäischen Filmpreises und seit 2006 Managing Director der Produktionsfirma EFA Productions gGmbH. Dass ihre allerletzte Zeremonie, die Verleihung der 33. European Film Awards, nun nicht live auf einer Bühne vor einem jubelnden Publikum stattfinden kann, heißt nicht, dass Marion Döring so gar keine Bühne bekommen soll. Wir haben sie gebeten, zum Abschied noch einmal einen kleinen Blick zurückzuwerfen auf ihre großartige Arbeit für den europäischen Film. Das Interview ist in einer gekürzten Fassung im Magazin „Trailer“ (Ausgabe Dezember 2020) der Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) erschienen.

„Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder „Himmel über Berlin“? Was haben 33 Jahre EFA mit Ihnen gemacht?

Marion Döring: An den Rand eines Nervenzusammenbruchs haben mich die 33 Jahre EFA nie gebracht – dafür hat die Arbeit auch in Zeiten besonderer Herausforderungen immer noch viel zu viel Spaß gemacht. Und der Himmel über Berlin breitet sich glücklicherweise auch heute noch zuverlässig über uns aus, auch wenn er auf eine ganz andere Stadt, ein ganz anderes Europa und eine ganz andere European Film Academy schaut als in den Gründungsjahren. Die 33 Jahre mit der EFA haben mich zu einem Menschen gemacht, der rückblickend sagen kann, dass er zu jeder Zeit wusste, warum er diesen Job macht, der sich in dieser wunderbaren europäischen Film Community immer zu Hause und wohl gefühlt hat, der es als großes Geschenk empfunden hat, so aufgeschlossenen, neugierigen, toleranten und mutigen Menschen begegnen zu dürfen, für die Professionalität und Emotionalität einander nicht ausschließen. Das ist schon eine ziemlich einzigartige Community, die sich mit offenen Sinnen durch die Welt bewegt und mit Leidenschaft für ihre Geschichten brennt. Die Welt mit ihren Augen zu sehen, kann uns zu empathischeren Menschen machen, deswegen müssen wir auch alles dafür tun, dass ihre Filme gesehen werden, gerade von den jüngeren Generationen, in deren Händen die Zukunft liegt.

Wo stand „ihre“ EFA im Gründungsjahr 1988 – was hinterlassen Sie 2020?

Marion Döring:Am Anfang war die EFA eine kleine, sehr feine Gruppe von hauptsächlich Regisseuren. Wer die Namen der 40 Gründungsmitglieder heute liest, wird das „Who Is Who“ des europäischen Kinos von vor drei Jahrzehnten entdecken. Sie alle verband Ende der achtziger Jahre die Sorge um die Zukunft des europäischen Films, der mehr und mehr von den Kinoleinwänden verschwand. Die Gründung der European Film Academy sollte vor allem das europäische Kino wieder ins Bewusstsein des Publikums rücken, und der Europäische Filmpreis erschien allen als eine geeignete Maßnahme, auch wenn es der Preis in den ersten 10 bis 15 Jahren schwer hatte, sich durchzusetzen. Zu wenige der nominierten und ausgezeichneten Filme waren im Kino zu sehen, und die, die im Kino gezeigt wurden, konnten einfach nicht mit dem starken US-Kino und seinen immensen Werbebudgets konkurrieren. Immer wieder wurde der absurde Vergleich zum Oscar gezogen und gefragt, ob Europa denn überhaupt einen Europäischen Filmpreis brauche. Die Zeiten des in Frage Stellens sind zum Glück vorbei. Heute zweifelt wohl kaum jemand an der Rolle des Europäischen Filmpreises als wichtigem Multiplikator eines Kinos, das auf Promotion-Plattformen wie ihn angewiesen ist, weil die eigenen Werbebudgets zu klein sind, um das Publikum eines sprachlich wie kulturell derart diversen Kontinents zu erreichen. Und auch die European Film Academy mit ihren inzwischen fast 4.000 Mitgliedern aus 48 Ländern hat längst ihren festen Platz in der europäischen Filmlandschaft gefunden, mit dem Europäischen Filmpreis als jährlichem Höhepunkt, Plattform des Entdeckens und Ort des Miteinanders, und als viel beachtete und geachtete Stimme, wenn es um die Verteidigung der künstlerischen Freiheit geht.

Konnte der 2012 eingeführte EFA Young Audience Award mehr junge Menschen für europäisches Kino begeistern?

Marion Döring: Der YAA, der sich an ein junges Publikum von 12 bis 14 Jahren richtet, hat von Anfang an den Nerv getroffen und ist ein Beweis dafür, wie sehr sich junge Menschen für das europäische Kino begeistern können, wenn man sie nur an die Hand nimmt und ihnen zeigt, was für tolle Filme es zu bieten hat – Filme, die Geschichten aus ihrem Leben erzählen, die wichtige Themen ihrer Zeit aufgreifen, die ihre jungen Zuschauer ernst nehmen und zugleich unterhalten können. Die Mitteldeutsche Medienförderung ist für den YAA seit seiner Gründung ein wichtiger Partner, ohne den diese Erfolgsgeschichte nicht möglich gewesen wäre. Als wir 2012 den YAA zum ersten Mal verliehen haben, machten sechs Städte in sechs europäischen Ländern mit, Erfurt war eine von ihnen. In diesem Jahr wären es 70 Städte in 41 Ländern! Dann kam Corona dazwischen und zwang uns, mit der Veranstaltung online zu gehen – mit durchaus guten Erfahrungen und einer sehr positiven Resonanz von den über 2.000 jungen Jurymitgliedern aus ganz Europa. Aber auch wenn diese Online-Ausgabe gut lief, war doch allen Teilnehmer*innen klar, dass nichts über das gemeinsame Schauen und anschließende Diskutieren der drei nominierten Filme im Kino geht. Wie nachhaltig eine solche Erfahrung wirkt, zeigt sich daran, dass die meisten Juror*innen Jahr für Jahr wiederkommen. Am 25. April 2021 wird der YAA zum 10. Mal verliehen, wir hoffen sehr, dass wir die Jugendlichen dann wieder in die Kinos einladen können.

Was muss für das Überleben von Europas Filmindustrie in der Pandemie dringend getan werden?

Marion Döring: Die Pandemie bedeutet für die europäische Filmindustrie eine Herausforderung historischen Ausmaßes, deren Komplexität in diesem Augenblick noch gar nicht vollends absehbar ist. Vertraute Ökosysteme von bewährten Fördermechanismen und Finanzierungswegen werden sich möglicherweise grundlegend verändern und die Industrie zwingen, sich neu aufzustellen. Aber wo es Kreativität und den Mut zur Innovation gibt, wird es auch Wege aus der Krise geben. Ganz sicher werden sich in der Folge auch die Distributionswege verändern und neue Schwerpunkte setzen. Europa muss endlich Konzepte für eigene große Streamingdienste entwickeln, die das Publikum nicht den Algorithmen überlassen, sondern es mit attraktiv kuratierten Programmen für ein spannendes, vielseitiges und überraschendes Kino gewinnen.

Welche Begegnungen der 33 Jahre werden sie nicht mehr vergessen?

Marion Döring: Da gibt es viele, aber wenn ich ein paar nennen darf, dann die unglaublich emotionale Aufbruchsstimmung der osteuropäischen Filmemacher*innen beim zweiten Europäischen Filmpreis 1989 in Paris, unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer, und ihre Hoffnung, dass Freiheit und Demokratie nun auch bald in ihren Ländern Einzug halten mögen. Eine Generalversammlung Anfang der 90er Jahre in Berlin, bei der die Filmemacher aus dem auseinander gebrochenen Jugoslawien zusammensaßen und fragten, „Bruder wie geht es dir?“, während sich ihre Länder zu Hause bekriegten. Der Tag, als Oleg Sentsov kurz nach seiner Freilassung aus dem russischen Gefängnis bei uns im Büro stand.

Was außer Geld braucht ihr Nachfolger Matthijs Wouter Knol, um die EFA weiterzuentwickeln?

Marion Döring: Er übernimmt die EFA zu einem schwierigen Zeitpunkt. Das war so nicht vorgesehen, da sind wir alle von den Ereignissen überrollt worden. Aber darin liegt auch eine Chance, denn Vieles wird sich infolge der Corona-Pandemie in den nächsten Jahren verändern, und Dinge, die vorher undenkbar schienen, werden jetzt vielleicht möglich sein. Ich bin sehr zuversichtlich, dass er die Expertise, die Weitsicht und die Sensibilität besitzt, die EFA in eine neue Zeit zu führen. Dabei wünsche ich Matthijs natürlich nicht nur viel Erfolg, sondern auch die Unterstützung der europäischen Filmwirtschaft und mindestens soviel Spaß, wie ich ihn in den vergangenen 33 Jahren erleben durfte.